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Seid listig wie die Schlangen - L. Zink |
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Seid listig wie die Schlangen (Mt 10,16) Wir haben eher eine abschätzige Meinung von List, wir stufen sie als moralisch verwerflich ein. Im Deutschen Wörterbuch wird sie mit geschickter Täuschung umschrieben. Im deutschen Universallexikon heisst es: Mittel, mit dessen Hilfe man (andere täuschend) etwas zu erreichen sucht, was man auf normalem Wege nicht erreichen könnte. Man spricht von teuflischer List. Der Militärstratege Carl von Clausewitz schreibt in seinem Buch Vom Kriege : Die List bietet dem ganz Schwachen und Kleinen, für den keine Weisheit mehr ausreicht, an dem Punkt, wo ihn alle Kunst zu verlassen scheint, sich als letzte Hilfe an. In der Dudenausgabe vom Februar 1996 gewinnt List einen positiveren Klang. List wird charakterisiert als eine un-, aussergewöhnliche, unkonventionelle, unorthodoxe Vorgehensweise in der Problemlösung. Im Chinesischen hat List einen anderen Stellenwert: sie ist neutral, ihre Einschätzung hängt davon ab, für welche Ziele man sie einsetzt. List hat einen positiven Klang: Ch qi zhi sheng heisst: Aussergewöhnliches erzeugen und so den Sieg erringen . Professor Dr. Harro von Senger will das Wort List, da es bei uns so einen schlechten Klang hat, durch das Wort Strategeme ersetzen und hat darüber ein Buch geschrieben. Er empfiehlt ein listenreiches Verhalten, das man von den Chinesen lernen kann. Aber die Frage ist, mit welchem Menschenbild gehen wir durch die Welt: mit Vertrauen oder mit dem Bewusstsein, dass es da immer Menschen gibt, die uns hereinlegen wollen, Menschen also, die trickreich an der Durchführung ihrer eigenen Interessen arbeiten, währen wir naiv in den Tag hineinleben? Als Beispiel bringe ich einen Ausschnitt aus der Zeitschrift der Benediktinergemeinschaft vom Kloster Einsiedeln (Nr. 4, 2005). Abt Martin Werlen schreibt: Bei einem einwöchigen Aufenthalt in Rom wollte ich ein Buch zu Ende schreiben und anschliessend zum Druck abgeben. Jede freie Minute nutzte ich dazu. So bestieg ich am Ende meines Aufenthaltes zufrieden den Zug zum Flughafen. Die grosse Reisetasche versorgte ich im Gepäckhalter, die Mappe mit dem Laptob stellte ich auf den Sitz. Die halbe Stunde Zugfahrt wollte ich nutzen, um noch am Text zu feilen. Da klopfte es ans Fenster. Ein junger Mann zeigte seine Fahrkarte und wollte mich etwas fragen. Er bat mich durch Zeigen zum Eingang des Wagens. Blitzartig kam mir der Gedanke: Ist das nicht ein Ablenkungsmanöver? Im Wagen waren nur zwei Leute und ich weise mich innerlich zurecht: So darfst du nicht vom Menschen denken! Und ich ging zum Eingang. Der junge Herr wollte wissen, wo man das Ticket entwerten müsse. Ich sagte ihm, dass sich der entsprechend Apparat am Anfang des Perrons befinde. Dann fragte er mich, wohin dieser Zug fahre. Weil er meine Antwort nicht verstand, musste ich sie wiederholen. Und in dem Moment merkte ich, dass es sich doch um ein Ablenkungsmanöver handelte. Ich ging zurück zum Platz. Es war zu spät: Die Handtasche war weg. Ein Komplize, der von der anderen Wagenseite gekommen war, hatte sie mitgenommen. Das durfte nicht wahr sein! Die Ausgabe der Benediktsregel, in die ich seit Jahren meine Notizen hineingeschrieben habe, mein Gebetbuch und mein Flugticket waren weg. Aber all das war halb so schlimm. Diese Dinge können ersetzt werden. Weg war auch mein Computer mit dem fast fertigen Text für ein neues Buch. Eine solche Erfahrung zeigt uns, wie sehr wir an Dingen und Leistungen hängen, von denen wir uns frei fühlten. Beim letzten Satz dachte ich, ob es für den Abt nicht vorteilhafter wäre, sich in Zukunft mit der List auseinander zu setzen. Pater Ludwig Zink CH-8126 Zumikon |
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