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Streifzüge durch die Geschichte der Verhaltensther |
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Christof T. Eschenröder: Streifzüge durch die Geschichte der Verhaltenstherapie dgvt Verlag, Tübingen 2019 247 Seiten, gebunden 18,80 (D) ISBN: 3871592285. Der Bremer Psychologe Christof Eschenröder hat sich mit auflagenstarken Büchern seit Beginn der achtziger Jahre (auch international) einen Namen gemacht. Sein Spezialgebiet ist die Methodik der Verhaltenstherapie, die inzwischen auch Verfahren wie das EMDR und die Klopfmethoden der Energetischen Psychotherapie einbezieht. Natürlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass Eschenröder außerdem wichtige Beiträge zum therapeutischen Humor verfasst hat. Sein neuestes Buch befasst sich mit der Entwicklungsgeschichte der Verhaltenstherapie bzw. der Quintessenz ihrer lerntheoretischen Annahmen und praktischen Auswirkungen. In einer prägnanten und gut lesbaren Übersicht wird das Konzept der klassischen Konditionierung ( Reiz-Reaktions-Lernen ) beschrieben, das von I. P. Pawlow und J. B. Watson zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde. Die Verstärkung bzw. Unterdrückung der entsprechenden Reiz-Reaktions-Muster wird als operante Konditionierung bzw. Lernen am Erfolg bezeichnet. Diese Grundideen wurden von B. F. Skinner seit den fünfziger Jahren im therapeutischen, pädagogischen und gesellschaftlichen Bereich erprobt bzw. im Sinne einer behavioristischen Theorie systematisiert. J. Wolpe nutzte das Prinzip der operanten Konditionierung, um (im Sinne einer reziproke Hemmung ) Angstreaktionen durch eine willentlich erzeugte Muskelentspannung systematisch zu desensibilisieren. Dieses Verfahren gehört inzwischen ebenso zum Grundrepertoire der Verhaltenstherapie wie die gestufte Reizkonfrontation. Dabei wird der Patient, der zum Beispiel an Höhenangst oder an sozialer Phobie leidet, dazu angeleitet, sich zunehmend mit eben jenen Gegebenheiten bzw. konfrontativ auseinanderzusetzen, die bislang % aufgrund der negativen Gefühle, die dabei ausgelöst wurden gemieden wurden. Eschenröder beschreibt diese Vorgehensweise im 2. Kapitel seines Buches anhand der historischen Selbsttherapie von J. W. Goethe, der sich während seiner Studienzeit gezielt seiner Höhenangst stellte, indem er einen hohen Kirchturm immer wieder bestieg, um sich der Schwindel erregenden Höhe % der Angst und Qual (S. 41) bewusst auszusetzen und auf diese Weise seine Empfindlichkeit abzustumpfen. (S. 40) In weiteren Abschnitten seines Buches geht Eschenröder ausführlich auf die zweite Phase der Verhaltenstherapie ein, in der es zu einer kognitiven Wende kam. Diese setzte Anfang der sechziger Jahre ein und wurde von den ursprünglich tiefenpsychologisch orientierten Vordenkern A. Ellis und A. T. Beck initiiert. D. Meichenbaum hat diese Entwicklung durch seinen kognitiv-narrativen Ansatz weiter präzisiert (s. 7. Kap.). Hierzu gehört auch die Analyse von bildhaftem Material, das sich in einem Traum offenbart und dessen Analyse ursprünglich eine Domäne der Tiefenpsychologie war (s. 9. Kap). Insgesamt geht es der Kognitiven Verhaltenstherapie um die Fokussierung auf solche Auswirkungen der Reizverarbeitung, die auf unangemessene Gedanken bzw. selbstschädigende innere Selbstgespräche zurückgehen. Nach Ellis (s. 6. Kap) dürfen die Bereiche der Wahrnehmung, Bewegung, des Denkens und Fühlens nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen als Prozesse verstanden, die sich gegenseitig beeinflussen (S. 133). In der Therapie eröffnen gerade jene Gedanken einen unmittelbaren Zugang zur Modifikation dieses interdependenten Gefüges, die als irrational zu bewerten sind (S. 134). Das bezieht sich primär auf eine perfektionistische Tendenz, aus der sich zum Beispiel die Überzeugungen ableiten, dass man von den Mitmenschen in jeder Hinsicht anerkannt werden muss, dass man keinerlei Fehler machen darf, dass man seinen Gefühlen hilflos ausgeliefert ist, dass man auf die Hilfestellung anderer unbedingt angewiesen ist, dass es für jedes Problem nur eine absolut richtige Lösung gibt und dass es ein totaler Misserfolg ist, wenn diese perfekte Lösung nicht gefunden wird. Solche irrationalen Man muss unbedingt -Gedanken (Ellis spricht von Mussturbationen ) werden in Form von inneren Selbstgesprächen ständig wiederholt, um der fiktiven Katastrophe eines schändlichen Scheiterns zu entgehen. Meichenbaum macht darauf aufmerksam, dass die entsprechenden inneren Dialoge (S. 150) in der Regel Stress hervorrufen, was nicht zuletzt bei Vorliegen von posttraumatischen Belastungsstörungen zusätzliche Probleme hervorrufen kann. Ellis hat Methoden zur Modifikation irrationaler Überzeugungen entwickelt, die auf den ersten Blick als trivial angesehen werden könnten. Dazu gehört das ABC-Prinzip, das die Interdependenz von auslösenden Fakten, bewertenden Gedanken und den dadurch hervorgerufenen Gefühlen und Verhaltenskonsequenzen schematisiert. (S. 137) Doch für die Praxis eines fokalen Coaching erweist sich diese komprimierte Systematik insofern als sehr effizient, als realitätsfremde Sichtweisen dem Klienten auf eine plausible und leicht verständliche Weise unmittelbar erkannt und einer pragmatischen Modifikation zugeführt werden können. Dabei plädiert Ellis für ein aktiv-direktives Vorgehen, das nicht nur zeitsparend ist, sondern die tatkräftige Mitarbeit des Klienten energisch einfordert. Dabei darf der Therapeut alle Register einer direktiven Rhetorik ziehen: Dazu gehört die Verwendung einer deftigen Sprache ebenso wie der Einsatz von humoristischen Übertreibungen (S. 142). Dabei lassen sich die Schrullen und Macken des Klienten auf eine joviale Weise ironisieren (S. 168). Auch das gezielte Evozieren von peinlichen Situationen folgt der Leitidee einer humoristischen Übertreibung. In seinen schamreduzierenden Mutproben regt Ellis daher insbesondere Sozialphobiker dazu an, sich in der Öffentlichkeit bewusst daneben zu benehmen und damit der bestimmenden Schamangst den Wind aus den Segeln zu nehmen (S. 170). Das Ganze rundet Ellis durch rationale Lieder ab, in denen zu bekannten Melodien Texte gesungen werden, die die perfektionistische Einstellung von übergewissenhaften Klienten persiflieren (S. 172). Damit erwies sich Ellis als einer der Vordenker des therapeutischen Humors, der mittlerweile auch in der Verhaltenstherapie an Bedeutung gewinnt. Dies zeigt Eschenröder im 8. Kapitel seines Buches ausführlich auf. Aktuell konzentriert sich die Verhaltenstherapie auf achtsamkeitsbasierte und affirmative Aspekte der Autokommunikation. Diese Dritte Welle betont die Bedeutung selbstinstruktiver Maßnahmen, die u. a. durch Imaginationsübungen, die Förderung einer von negativen Ereignissen losgelösten Achtsamkeit und der Veränderung der Haltung gegenüber einengenden Erfahrungen aus der bisherigen Lebensgeschichte gefördert werden können. Zu diesem Zweck wurde die ursprüngliche Methodik der systematischen Desensibilisierung durch innovative Techniken wie das Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) nach F. Shapiro und die Klopfmethoden der Energetischen Psychotherapie (EFT) nach F. Gallo und G. Craig weitergeführt (s. 10. Kap.). Beim EMDR wird über rhythmische Augenbewegungen bzw. akustische Reize und taktile (Selbst-) Stimulierungen eine doppelte Aufmerksamkeit (S. 211) bewirkt. Dadurch kann sich der Klient während kurzer Expositionszeiten traumatischem Material zuwenden, um sich gleich darauf von diesem wieder zu loszulösen. Dabei werden, auf der Basis einer generell achtsamen Haltung, emotionale und kognitive Verarbeitungsprozesse angeregt und gleichzeitig unter Kontrolle gehalten, was nach gegenwärtigem Kenntnisstand positive neurophysiologische Prozesse anregt. Subjektiv ergibt sich nach Ansicht Eschenröders (S. 212) ein ähnlich entlastender Entspannungseffekt wie dies bereits bei der reziproken Hemmung der klassischen systematischen Desensibilisierung der Fall ist. Auch bei den Klopfmethoden der EFT geht es um das Induzieren von bifokaler Aufmerksamkeit (S. 214). Während der Klient an eine belastende Situation denkt, soll er eine Reihe von sensiblen Akupunkturpunkten durch Beklopfen bzw. Massieren stimulieren. Dabei können ebenfalls rhythmische Augenbewegungen veranlasst werden. Dadurch kommt es zu einer systematischen Koppelung zwischen belastenden Vorstellungen und dem emotional entlastenden körperlichen Spürgefühl. Als Effekt kann sich eine selbstakzeptierende Haltung beim Klienten einstellen, die mit einer deutlichen Abschwächung von selbstschädigenden kognitiven Inhalten einhergeht (S. 218). Evidenzbasierte Studien konnten belegen, dass sich mithilfe der (zunächst sehr umstrittenen) Methoden von EMDR und EFT besonders im Falle von Angststörungen, posttraumatischen Störungen und depressiven Verstimmungen ein rascher und nachhaltiger positiver Effekt erzielen lässt. Dieser wird offensichtlich durch physiologische Prozesse bewirkt, die sich unmittelbar auf das emotionale und kognitive Geschehen auswirken (S. 225-227). Insgesamt lässt sich feststellen, dass dieses flüssig geschriebene Buch einen umfassenden Überblick über die Evolution der Verhaltenstherapie bietet. Eschenröder gelingt es souverän, die einzelnen Stadien der Entwicklungsgeschichte einer Therapieform schlüssig und präzise herauszuarbeiten, die aufgrund ihrer nachweisbaren Erfolge zunehmend an Bedeutung gewinnt. Michael Titze
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