Ein Abend mit Folgen - L. Zink
Der Humor im Werk des Schweizer Schriftstellers und Kabarettisten Fanz Hohler
Ein Abend mit Folgen
Es sind Jahre her: Ein Abend am Theater am Kirchplatz in Schaan. Franz Hohler (1) mit seinem Cello erhielt nach einem kabarettistischen Abend viel Applaus, soviel dass er zu einer Zugabe fast gezwungen schien. Er war bereit, eine Zugabe zu geben allerdings unter der Bedingung, dass ein Zuschauer einen Text im Wechsel mit ihm sprechen sollte. Keiner meldete sich. Ich sprang auf die Bühne und las mit ihm zur Erheiterung vieler den humorvoll, hintergründigen Text. Seit diesem Abend bin ich ein ausgesprochener Fan von ihm, doch mein Fansein hat seine Gründe.
Phantasievolle, zum Schmunzeln anregende Geschichten
In den Geschichten von Franz Hohler fangen die Dinge an zu sprechen. Jeder kann die Erfahrung machen, dass es Tage gibt, bei denen es scheint, dass alle Dinge einem in die Quere kommen, als hätten sie einen Anschlag auf einen vor, und dass es Tage gibt, bei denen Menschen und Dinge einem freundlich gesinnt scheinen, und alles geht einem von der Hand. Bei Hohler fangen die Dinge an zu sprechen. Es kann sein, dass sie sich schadenfreudig rächen, weil sie nicht beachtet werden, wie in der Geschichte der Tiefkühltruhe im Ferienhaus in den Bergen. Ihr Besitzer, der Mann mit der Glatze, richtet nie ein freundliches Wort an die Tiefkühltruhe. Aus Versehen bleibt der Schalter Schnellkühlung eingeschaltet und ein Eisgletscher verbreitet sich über das ganze Haus. Als das Ferienhaus im Frühling mit Pickel wieder vom Eis befreit ist, komm der kleine Mann mit der Glatze an seine Tiefkühltruhe heran, hebt drohend den Fingen und sagt: Na, du Truhe, du! Er hat etwas dazu gelernt. Eines meiner Lieblingsgeschichten ist die Geschichte vom alter Briefkasten am Gartentor, der sagt: Ich möchte gern ein Rennrad sein und dahin flitzen . Du mit deinen Wünschen! kann da nur das Gartentor antworten. Doch er wird eines Tages abgeschraubt, eingeschmolzen mit alten Metallstühlen und Drahtgittern wird er zu Leichtstahl verarbeitet, kommt in eine Rennradfabrik und flitzt bald durch weite Ebenen. Er bezwingt Pässe und kann kaum glauben, dass er jahrelang jeden Tag an der Post fast erstickt ist. Die Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat, kehrt immer einmal wieder, denke ich.
Dann denke ich auch an die verachtete kleine Made, zu der die anderen wiederholt sagen: Du bringst es nie zu etwas! Eines Tages antwortet sie forsch: Doch gewiss, ich komme bis nach Hongkong! Viele Grüsse und lass es uns wissen, wenn du in Hongkong angekommen bist! sagen die anderen Maden. Der Zufall will es, dass sie sich in einem Container mit Gold versteckt, der von Räubern nach Hongkong im Flugzeug gebracht wird. Doch schon bald sind die Räuber auf der Flucht vor der Polizei und werden von ihr getötet. Die kleine Made jedoch kauft mit ihrem Gold aus dem verlassenen Container alle Spielzeugfabriken in Hongkong auf und befiehlt, dass auf jedem Spielzeug, das nach Europa verkauft wird, die Nachricht steht: Made in Hongkong . Die Maden in Europa machen grosse Augen, als sie die Kinder hören, wie sie auf dem Sandhaufen einander vorlesen Made in Hongkong , und sie flüstern einander zu: Sie ist tatsächlich in Hongkong angekommen!
Es ist eine geschwisterliche Welt, die einem begegnet, bei der das Kontrastreiche, das Hintergründige einem zum Schmunzeln bringt. Man weiss sich mit den Märchen verbunden, in denen die Tiere und Dinge sprechen können und auch mit der Bibel, in der die Schlange mit Eva spricht und der halsstarrige Esel mit dem Propheten Bileam (4. Buch Mose 22-24). Auch fühlt man sich verbunden mit der Theologie des Spiels. Man erinnert sich an das Buch Ijob. Gott, der mit dem Krokodil wie mit einem Vöglein spielt (Ijob 40,25-29) und selbst mit dem mythischen Meerungeheuer Leviatan spielerisch umgeht (Psalm 104, 26), ist ein Freund des zwecklosen Spiels, zudem zugleich ein grosser Ernst gehört..
Wiederbelebung eines kindlichen, animistischen Weltbildes
Participation mystique hat der Schweizer Psychologe Carl Gustav Jung die Weltsicht des Menschen genannt, in der Dinge und Pflanzen belebt sind. Man muss heute weit gehen, bis man noch Eingeborenenstämme findet, die dies leben, doch naheliegender ist dieses Weltverständnis bei Kindern zu finden. Als ich mit meinem sechsjährigen Neffen früher einmal im Urlaub war, trug er Sandalen. Er beklagte sich bei mir: Diese bösen kleinen Steinchen immer springen sie mir in die Sandalen! . Zu einem anderen fünfjährigen Neffen, der Angst vor Katzen hatte, sagte meine Schwester: Du musst keine Angst vor einer Katze haben. Sie fressen die Mäuse, aber nicht Dich , und er antwortete: Wie weiss aber die Katze, dass ich keine Maus bin! Franz Hohler erzählte einmal, wie einer seiner Söhne als Kind ihm sagte: Gell, Papi, wir sind Bakterien im Hirn vom lieben Gott!
Er äusserte sich einmal: Ich bin ein grosser Freund animistischer Literatur. Wenn Sie meine Kinderliteratur lesen, da wimmelt es von Joghurts, die ihren Kühlschrank verlassen und mit der Wurst darüber diskutieren, ob sie nicht mitkommen will. Ich bin überzeugt, dass die Natur eine unheimliche Vielfalt von Leben darstellt. Was ist dieses Leben? Die Naturvölker haben daran geglaubt, dass Bäume leben, dass in Quellen ein Quellengeist sitzt und in Bergen ein Berggeist. Die meisten Völker haben sich davor gefürchtet, Berge zu besteigen. Es ist auch in der Schweiz noch nicht lange her, dass man in die Berge geht. Die Engländer haben uns sehr dabei geholfen. Es gibt Hunderte animistischer Märchen, wo Tiere und Gegenstände sprechen können. Darin liegt eine ganz selbstverständliche Weisheit, die uns durch die Molekulartheorie heute wieder bestätigt wird. Auch der Tisch lebt, denn er besteht aus kleinen Atomen, in denen die Teilchen gegeneinander kreisen. Letztlich ist eine riesige Unruhe in diesen toten Gegenständen. Jede Substanz hat ihre Molekularstruktur, die eine Art Kraftfeld darstellt, in dem es chaotisch zugehen muss. (2)
Das Leben ist nur durch Wunder erträglich , sagte Max Frisch einmal. Es sind Wunder, die einem zum Staunen bringen und manchmal sind es auch Wunder, die einem zum Schmunzeln oder zum Lachen bringen.
Ludwig Zink
Ch-8126 Zumikon
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(1) Franz Hohler wurde 1943 in Biel geboren. Er lebt und arbeitet in Zürich, schreibt für Erwachsene und Kinder.
Zuletzt erschienen von ihm der Roman Es klopft (2007) und der Erzählband Das Ende eins ganz normalen Tages (2008), beide im Luchterhand Verlag, sowie seine gesammelten Kindergeschichten unter dem Titel Das grosse Buch (Hanser Verlag, 2009).
2005 wurde er mit dem Kunstpreis der Stadt Zürich ausgezeichnet, 2008 erhielt er für sein kabarettistisches Gesamtwerk den Salzburger Ehrenstier.
(2) Franz Hohler in Jubiläumsspezial , Beilage zu Denkbilder Nr. 15, Oktober 03, Germanistikmagazin der Universität Zürich
Ein Abend mit Folgen
Es sind Jahre her: Ein Abend am Theater am Kirchplatz in Schaan. Franz Hohler (1) mit seinem Cello erhielt nach einem kabarettistischen Abend viel Applaus, soviel dass er zu einer Zugabe fast gezwungen schien. Er war bereit, eine Zugabe zu geben allerdings unter der Bedingung, dass ein Zuschauer einen Text im Wechsel mit ihm sprechen sollte. Keiner meldete sich. Ich sprang auf die Bühne und las mit ihm zur Erheiterung vieler den humorvoll, hintergründigen Text. Seit diesem Abend bin ich ein ausgesprochener Fan von ihm, doch mein Fansein hat seine Gründe.
Phantasievolle, zum Schmunzeln anregende Geschichten
In den Geschichten von Franz Hohler fangen die Dinge an zu sprechen. Jeder kann die Erfahrung machen, dass es Tage gibt, bei denen es scheint, dass alle Dinge einem in die Quere kommen, als hätten sie einen Anschlag auf einen vor, und dass es Tage gibt, bei denen Menschen und Dinge einem freundlich gesinnt scheinen, und alles geht einem von der Hand. Bei Hohler fangen die Dinge an zu sprechen. Es kann sein, dass sie sich schadenfreudig rächen, weil sie nicht beachtet werden, wie in der Geschichte der Tiefkühltruhe im Ferienhaus in den Bergen. Ihr Besitzer, der Mann mit der Glatze, richtet nie ein freundliches Wort an die Tiefkühltruhe. Aus Versehen bleibt der Schalter Schnellkühlung eingeschaltet und ein Eisgletscher verbreitet sich über das ganze Haus. Als das Ferienhaus im Frühling mit Pickel wieder vom Eis befreit ist, komm der kleine Mann mit der Glatze an seine Tiefkühltruhe heran, hebt drohend den Fingen und sagt: Na, du Truhe, du! Er hat etwas dazu gelernt. Eines meiner Lieblingsgeschichten ist die Geschichte vom alter Briefkasten am Gartentor, der sagt: Ich möchte gern ein Rennrad sein und dahin flitzen . Du mit deinen Wünschen! kann da nur das Gartentor antworten. Doch er wird eines Tages abgeschraubt, eingeschmolzen mit alten Metallstühlen und Drahtgittern wird er zu Leichtstahl verarbeitet, kommt in eine Rennradfabrik und flitzt bald durch weite Ebenen. Er bezwingt Pässe und kann kaum glauben, dass er jahrelang jeden Tag an der Post fast erstickt ist. Die Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat, kehrt immer einmal wieder, denke ich.
Dann denke ich auch an die verachtete kleine Made, zu der die anderen wiederholt sagen: Du bringst es nie zu etwas! Eines Tages antwortet sie forsch: Doch gewiss, ich komme bis nach Hongkong! Viele Grüsse und lass es uns wissen, wenn du in Hongkong angekommen bist! sagen die anderen Maden. Der Zufall will es, dass sie sich in einem Container mit Gold versteckt, der von Räubern nach Hongkong im Flugzeug gebracht wird. Doch schon bald sind die Räuber auf der Flucht vor der Polizei und werden von ihr getötet. Die kleine Made jedoch kauft mit ihrem Gold aus dem verlassenen Container alle Spielzeugfabriken in Hongkong auf und befiehlt, dass auf jedem Spielzeug, das nach Europa verkauft wird, die Nachricht steht: Made in Hongkong . Die Maden in Europa machen grosse Augen, als sie die Kinder hören, wie sie auf dem Sandhaufen einander vorlesen Made in Hongkong , und sie flüstern einander zu: Sie ist tatsächlich in Hongkong angekommen!
Es ist eine geschwisterliche Welt, die einem begegnet, bei der das Kontrastreiche, das Hintergründige einem zum Schmunzeln bringt. Man weiss sich mit den Märchen verbunden, in denen die Tiere und Dinge sprechen können und auch mit der Bibel, in der die Schlange mit Eva spricht und der halsstarrige Esel mit dem Propheten Bileam (4. Buch Mose 22-24). Auch fühlt man sich verbunden mit der Theologie des Spiels. Man erinnert sich an das Buch Ijob. Gott, der mit dem Krokodil wie mit einem Vöglein spielt (Ijob 40,25-29) und selbst mit dem mythischen Meerungeheuer Leviatan spielerisch umgeht (Psalm 104, 26), ist ein Freund des zwecklosen Spiels, zudem zugleich ein grosser Ernst gehört..
Wiederbelebung eines kindlichen, animistischen Weltbildes
Participation mystique hat der Schweizer Psychologe Carl Gustav Jung die Weltsicht des Menschen genannt, in der Dinge und Pflanzen belebt sind. Man muss heute weit gehen, bis man noch Eingeborenenstämme findet, die dies leben, doch naheliegender ist dieses Weltverständnis bei Kindern zu finden. Als ich mit meinem sechsjährigen Neffen früher einmal im Urlaub war, trug er Sandalen. Er beklagte sich bei mir: Diese bösen kleinen Steinchen immer springen sie mir in die Sandalen! . Zu einem anderen fünfjährigen Neffen, der Angst vor Katzen hatte, sagte meine Schwester: Du musst keine Angst vor einer Katze haben. Sie fressen die Mäuse, aber nicht Dich , und er antwortete: Wie weiss aber die Katze, dass ich keine Maus bin! Franz Hohler erzählte einmal, wie einer seiner Söhne als Kind ihm sagte: Gell, Papi, wir sind Bakterien im Hirn vom lieben Gott!
Er äusserte sich einmal: Ich bin ein grosser Freund animistischer Literatur. Wenn Sie meine Kinderliteratur lesen, da wimmelt es von Joghurts, die ihren Kühlschrank verlassen und mit der Wurst darüber diskutieren, ob sie nicht mitkommen will. Ich bin überzeugt, dass die Natur eine unheimliche Vielfalt von Leben darstellt. Was ist dieses Leben? Die Naturvölker haben daran geglaubt, dass Bäume leben, dass in Quellen ein Quellengeist sitzt und in Bergen ein Berggeist. Die meisten Völker haben sich davor gefürchtet, Berge zu besteigen. Es ist auch in der Schweiz noch nicht lange her, dass man in die Berge geht. Die Engländer haben uns sehr dabei geholfen. Es gibt Hunderte animistischer Märchen, wo Tiere und Gegenstände sprechen können. Darin liegt eine ganz selbstverständliche Weisheit, die uns durch die Molekulartheorie heute wieder bestätigt wird. Auch der Tisch lebt, denn er besteht aus kleinen Atomen, in denen die Teilchen gegeneinander kreisen. Letztlich ist eine riesige Unruhe in diesen toten Gegenständen. Jede Substanz hat ihre Molekularstruktur, die eine Art Kraftfeld darstellt, in dem es chaotisch zugehen muss. (2)
Das Leben ist nur durch Wunder erträglich , sagte Max Frisch einmal. Es sind Wunder, die einem zum Staunen bringen und manchmal sind es auch Wunder, die einem zum Schmunzeln oder zum Lachen bringen.
Ludwig Zink
Ch-8126 Zumikon
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(1) Franz Hohler wurde 1943 in Biel geboren. Er lebt und arbeitet in Zürich, schreibt für Erwachsene und Kinder.
Zuletzt erschienen von ihm der Roman Es klopft (2007) und der Erzählband Das Ende eins ganz normalen Tages (2008), beide im Luchterhand Verlag, sowie seine gesammelten Kindergeschichten unter dem Titel Das grosse Buch (Hanser Verlag, 2009).
2005 wurde er mit dem Kunstpreis der Stadt Zürich ausgezeichnet, 2008 erhielt er für sein kabarettistisches Gesamtwerk den Salzburger Ehrenstier.
(2) Franz Hohler in Jubiläumsspezial , Beilage zu Denkbilder Nr. 15, Oktober 03, Germanistikmagazin der Universität Zürich