Gedankensplitter im Auge eines Pilgers
Ich treffe Lisa und Anselm beim Pilgern. Wir kamen ins Gespräch, sie fragen, was ich mache. Also erzähle ich, dass ich auch Bücher schreibe. Sie fragen natürlich, worüber. Ich antworte, dass ich Bücher über Humor schreibe. Die Reaktion kommt spontan: Das passt! Ich hatte mit diesen beiden Mitpilgern kaum geredet, wir waren einige Kilometer miteinander gelaufen. Der Eindruck, den sie von mir haben konnten, war allenfalls flüchtig.
Egal nun, worauf diese Fremdwahrnehmung über meine Art beruht, mich bestätigt diese Erfahrung darin, dass Humor tatsächlich eine Lebenseinstellung ist, die im Miteinander erfahrbar sein muss. Wer mit seinem Humor zu leben gelernt hat, entwickelt seine Lebenseinstellung zu einer Lebenskunst, die nicht nur eine subjektive Philosophie ist, sondern eine praktisch gewordene Lebenskunstphilosophie. Das hört sich gut an, viele stimmen dem sicherlich auch bei. Doch dass diese Lebenskunstphilosophie mit einem hohen Anspruch an Selbstreflexion und ständiger Auseinandersetzung verbunden ist, das wird gerne zur Seite geschoben. Die Übung besteht nämlich darin, aus Witzigkeit eine humorvolle Haltung und Ausstrahlung zu formen. Humor ist keine Gabe, die man hat oder nicht hat. Humor ist ein ständiger Prozess der Selbstformung.
Es scheinen Welten aufeinander zu treffen, wenn man in Humorseminaren genau diesen Ansatz der Humorarbeit in den Mittelpunkt stellt. Mittlerweile weigere ich mich, einfach mit ein paar netten Übungen fortzufahren. Ich hätte dann das Gefühl, den Humor zu verraten.
Und Verräter gibt es genug. Da erzählt mir ein Bankdirektor, welche tollen Scherze er mit seinen Mitarbeitern macht und ich könnte ihm glatt auf sein weißes Hemd kotzen. Selbstgefälligkeit und eine bar jeder Selbstreflexion verletzen wollende Witzigkeit kommt bei mir an.
Oder mir erzählen Seminarteilnehmer, wie sehr sie provokanten und schwarzen Humor ablehnen, sind jedoch gleichzeitig mit ihren Äußerungen übergriffig und scheinen überhaupt nicht zu bemerken, wie sie mit ihren moralischen und apodiktischen Aussagen die Seele anderer Menschen anritzen. Auch hier findet sich eine Selbstgefälligkeit, die es unmöglich macht, sich selbst in Frage zu stellen, man ist ja auf der moralisch richtigen Seite. Oder ich erlebe bei irgendwelchen Talkshows zum Thema Humor Unterhaltungskünstler, die meinen, witzig sein zu müssen und kaum etwas zum Thema beitragen. Wahrscheinlich sind auch Unterhaltungskünstler nur in seltenen Fällen geeignete Fachleute in Sachen Humor. Doch Wissenschaftler sind häufig noch schlimmer. Sie müssen ihre Meriten in einem Wissenschaftsbetrieb verdienen, der sich sehr ernst nimmt und Selbstironie oder einfach mal witzig oder sogar albern sein aus seinem Elfenbeinturm verbannt hat.
Ein Professor, mittlerweile emeritiert, deshalb konnte er das sagen, meinte: Unsere Gespräche in den akademischen Kreisen waren doch nur ein Examinieren, aber doch keine Gespräche. Erzählt man als Examenskandidat in einer Prüfung einen Witz, erntet man meist nur ein müdes Lächeln. Obwohl es, das muss der Redlichkeit wegen ebenso erwähnt werden, natürlich im akademischen Apparat auch Menschen gibt, die solche Antworten aufnehmen und im Prüfungsgespräch etwas daraus machen. Ein verrückter Professor dagegen wird z. B. von Eddy Murphy gespielt und bedient eher die, die eventuell noch wissen, dass ein Professor ein Hochschullehrer ist, doch sonst ist da nicht viel. Die Feuerzangenbowle scheint da noch immer Maßstäbe zu setzen.
Wer nun mit dieser Brille in die Humorszene schaut, den erfüllt ein Grauen. Da spielen Leute den Clown, die wie ein Trauerkloß wirken und ihre lediglich eingeübten Witzeleien abspulen, da führen Menschen Humorseminare durch, denen man nicht im Dunkeln begegnen möchte. Oder da machen Menschen Lachseminare, die ihre Mundwinkel nur während des Seminars oben behalten können, ansonsten hat man den Eindruck, sie gingen gerade zu einer Beerdigung.
Da streiten sich in Humorvereinen Menschen, die sich dem Humor verschrieben haben, um Kleinigkeiten und kein Witz hebt die vielleicht berechtigte Kritik wieder auf.
Lisa und Anselm blieben in einem Ort, weil sie beim Bäcker, der in Frankreich während der Mittagszeit natürlich geschlossen hat, für den Abend noch Lebensmittel kaufen wollten. Ich laufe weiter nach Metz. Mein erster Gang, nachdem ich die Übernachtung geklärt habe, ist die Kathedrale und dort sind es die Fenster von Marc Chagall. Ich stehe in dieser Kirche und staune über die Kraft der Farben und Formen. Mir huscht ein Lächeln ins Gesicht. Ich denke, von diesen Fenstern kann ich viel darüber lernen, was Humor sein kann.
Am nächsten Tag gehe ich weiter, ich wandere durch Weinberge und mache mir Gedanken über die Humoressenz im Wein. Die Sonne eines Sommers, die Freude über jeden Sonnenstrahl hat sich als Flüssigkeit im Weinglas gefangen. Wieder bemerke ich dieses Lächeln in meinem Gesicht. Ich freue mich auf das Glas Wein, das ich mir am Abend gönnen werde. Doch zunächst erfreue ich mich am Anblick der Mosel, die sich sanft lächelnd, so kommt es mir zumindest vor, durch die Landschaft schlängelt. Immer wieder denke ich, wie ich meinen Humor weiter schulen kann, ob ich etwas in meiner Arbeit verändern muss. Langsam merke ich die Kilometer, die ich schon gelaufen bin. Mir tun die Füße weh, ich schwitze, Wasser habe ich auch nicht mehr genug. Ich gehe einfach weiter und mir kommt in den Sinn, das ist Humor, weiter gehen trotz der Schmerzen und der Kraftlosigkeit. Und es geht. Und das Glas Wein am Abend schmeckt und mit jedem Schluck erfahre ich ein sommerliches Lachen. Der Schlaf anschließend ist tief und erholsam. Und dann in aller Frühe geht es wieder los, der Morgen hat sein sanftes Lächeln ausgebreitet und ich spüre, dass ich Humor tanken kann, wenn ich es tue, wenn ich den Morgen wahrnehme, wenn ich Fuß vor Fuß setze und nicht frage.
Thomas Holtbernd, Diplom-Theologe, Diplom-Psychologe und immer wieder einige Tage auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela.