Die reinste Freude - Schaden macht froh

Hessischer Rundfunk, hr2, Kultur - Der Tag

12.02.2010

Moderation: Angela Fitsch

Die reinste Freude - Schaden macht froh


A. Fitsch: Ist das teuflische Gefühl der Schadenfreude angeboren oder erlernt? Um dies heraus zu finden, testeten Psychologen 4 - 8 Jährige.
Die Kinder durften ein Glas Apfelsaft eines Erwachsenen heimlich gegen Zitronensaft austauschen. Setzte der Erwachsene dann ahnungslos zum Trinken an, so verhielten sich die Kinder, je nach Alter, sehr unterschiedlich.
Die 4 Jährigen fühlten mit dem potentiellen Opfer mit, zeigten daher auf das Glas und wollten den Erwachsenen warnen.
Die 5-6 Jährigen hatten zwar durchaus schon ein Gespür für Schadenfreude, konnten aber ihre Vorfreude nicht verbergen, so dass sie sich verrieten.
Erst den 8 Jährigen gelang der Streich. Sie setzten ein Pokerface auf und kosteten anschließend den bittersüßen Schaden des Anderen aus.

Wer früh lernt, wird Meister, manchmal zumindest. Die Schadenfreude - ein Gefühl, zu dem sich niemand gerne offen bekennt, denn diese Schadenfreude ist eine klammheimlich daherkommende Emotion. Über Jahrhunderte hinweg galt die Schadenfreude als schlimmste Eigenschaft der menschlichen Natur, als Kennzeichen des Bösen, wie Schopenhauer meinte.
Sucht man im Internet nach der Definition der Schadenfreude, dann wird sie als Freude über das Missgeschick Anderer oder als Unglück definiert und meistens an Begriffe gekoppelt wie neidisch, hasserfüllt und grausam.
Es gibt nur wenige deutsche Wörter, die Eingang in fremde Sprachen gefunden haben, dazu zählen Kindergarten, Blitzkrieg, Weltanschauung, Angst und eben Schadenfreude.
Irgendwie macht sie uns Spaß, darf sie aber nicht. Und wenn uns jemand bei der Schadenfreude, der kleinen Schwester der Niedertracht, erwischt hat, dann ärgert es uns. Kein Wunder, dass der Mensch genau vor 100 Jahren das Spiel gleichen Namens erfunden und in alle Welt exportiert hat, ausnahmsweise mal mit friedlichen Mitteln: Mensch ärgere dich nicht.
Anderswo gilt die Freude am Schaden der Mächtigen meistens als gute demokratische Tugend. Na ja, es gibt also viele Gründe über die Schadenfreude zu reden und das werden Sie zu hören bekommen:

Die reinste Freude - Schaden macht froh und das ist manchmal auch gut so.

Wir legen los mit diesem Brettspiel, das vor 100 Jahren auf den Markt kam und das die Schadenfreude gesellschaftsfähig machte. Interessant dabei ist die Übertragbarkeit auf real existierende Verhältnisse und unterschiedliche Spielertypen.

Anne Dachsfeld hat schwarz-gelbe Feldforschungen betrieben.

Angela, Horst, Guido und Roland sind Freunde. Heute treffen sie sich bei Angela zum Mensch-ärgere-dich-nicht spielen. Zuerst sortieren sie die roten und grünen Steine aus.
Die dürfen nicht mitspielen ... sagt Roland ... die sind doof und alle grinsen. Aber dann wird es ernst. Roland bekommt die schwarzen, der Guido die gelben, der Horst die blauen und die Angela die farblosen. Guido will wie immer alles bestimmen und sagt: Ab heute spielen wir mal in die andere Richtung ... Aber Angela sagt: Später vielleicht, jetzt spielen wir erst mal so wie immer.
Und weil die anderen beiden auch dagegen sind, muss Guido nachgeben und ärgert sich schon, bevor es losgeht.
Horst würfelt als Erster. Das war zwar nicht abgesprochen, aber Horst würfelt immer als erster. Er hat eine sechs, schiebt sein Männchen aus dem Haus, dann noch eine fünf.
Ich gewinne ... krakeelt er, weil er glaubt, wenn man ich gewinne brüllt, dann gewinnt man auch. Aber Guido würfelt auch eine sechs und eine fünf. Er schmeißt Horsts Männchen raus und sagt: Ätsch ... und freut sich, als hätte er schon gewonnen und Horst ist total sauer. Roland würfelt nur eine drei, aber er ärgert sich nicht. Jedenfalls tut er so. Angela würfelt gar nicht.
Ich setze erst mal aus ... , sagt sie und grinst dabei so komisch.
Dann will Guido würfeln, obwohl Horst dran ist. Aber der ist total sauer, nimmt Guido den Würfel weg und wirft wieder eine sechs und dann eine drei. Aber der Guido wirft auch eine sechs und eine drei.

Ha, ha, freut er sich, denn Horst ist wieder draußen und er zieht sein gelbes Männchen energisch nach vorne. Roland hat eine zwei, aber er lässt sich wieder nichts anmerken.
Wieso soll ich mich ärgern, das ist doch nur ein Spiel ... sagt er, aber es klingt irgendwie nicht wie in echt. Angela würfelt eine sechs und gibt den Würfel weiter.
Du musst dein Männchen rausziehen und noch mal würfeln ... sagt Roland.
Nö, muss ich nicht ... sagt sie. Erst wenn ich will.
Horst wird total sauer, aber die anderen halten ihn zurück. Wir sind doch Freunde , sagen sie.

Mensch ärgere dich nicht - der Schaden des anderen macht froh.

Das spürte auch der Weißclown, der autoritäre Sack, der seriöse und intelligente Chef eines Clownkollektivs. Nie tritt er als Solokünstler auf, nie. Dann könnte er sich nicht erheben über den dummen August und uns vor Schadenfreude zum Lachen bringen.
Federico Fellini stellte fest, dass weißer Clown und dummer August wie Lehrer und Kind, wie Mutter und Gassenjunge sind.

Sprecher: Wenn ich Clown sage, denke ich an den August. Freilich sind da die beiden Figuren, der weiße Clown und der August.
Der erste ist Eleganz, Grazie und Intelligenz, Klarheit. Alles was sich moralisch als ideale, einzig gültige Lage, als indiskutierbare Gottheit anbietet.
Und da erscheint der negative Aspekt dieser Angelegenheit, denn so wird der weiße Clown zur Mama, zum Papa, dem Meister, dem Künstler, dem Schönen. Kurz zu dem, was man tun sollte.
Der August, der von dieser Perfektion fasziniert wäre, wenn sie nur nicht so deutlich zur Schau getragen würde, der revoltiert.
Er sieht, dass der Flitter leuchtet, doch macht die Aufgeblasenheit, mit der er sich darstellt, den weißen Clown unerreichbar. Auch verlangt der weiße Clown, dass der August elegant sei. Der wird aber umso verlumpter, unbeholfener, Staub bedeckter, je autoritärer das Gegenteil verlangt wird.
August ist das Kind, das unter sich kackt. Er rebelliert gegen diese Perfektion, besäuft sich, wälzt sich auf dem Boden und belebt daher den ständigen Widerspruch.

Es ist der Kampf zwischen dem stolzen Kult der Vernunft, der zum anmaßenden Kult des Ästhetizismus wird und dem Instinkt, der Freiheit des Triebes.
So ist der weiße Clown der Bourgeoise, auch weil er mit seiner Persönlichkeit so erscheinen will, dass er Eindruck macht. Schon im Anblick ist er wunderbar, reich, mächtig. Das Antlitz weiß, gespenstisch. Der Mund durch einen einzigen Strich gezeichnet, hart, unsympathisch, abweisend, kalt.
Die bürgerliche Familie ist eine Sammlung von weißen Clowns, wodurch das Kind in die Lage des August gedrängt ist.
Die Mutter sagt: Tu dies nicht, tu jenes nicht ...
Wenn man die Nachbarn einlädt und das Kind ein Gedicht aufsagen muss ( Zeig den Herrschaften, was du kannst ... ), dann hat man eine typische Zirkussituation.

A. Fitsch: Und wie wir uns manchmal darüber freuen können! Michael Titze, Psychologe und Humortherapeut, Sie arbeiten mit therapeutischen Clowns, die zusammen mit depressiven Patienten all die peinlichen Situationen ihres Lebens auf einer Bühne spielen und es geradezu darauf anlegen, dass ihre Zuschauer Schadenfreude empfinden. Was ist das Ziel einer solch bösen Übung?

M. Titze: Es ist erst einmal so, dass die Patienten die zu uns kommen, Erfahrungen damit gemacht haben, dass sie Objekte des Lachens sind. Sie sind nicht das Subjekt des Lachens, sondern sie erleben sich als passive Objekte, über die gelacht wird.
Dadurch kommen sie in eine Position, die Scham erzeugt, die Angst erzeugt und dann verkrampfen sie sich und sie werden so unfreiwillig komisch. Wir sagen, das sind dann die unfreiwilligen Clowns. Wenn man nämlich sehr verkrampft ist, dann passieren halt clownesque Dinge, die Sie sicher von Woody Allen und auch Buster Keaton kennen. Sie machen dies allerdings freiwillig. Wenn man unfreiwillig Clown ist, dann ist das eine schlimme Sache.

A. Fitsch: Aber Schadenfreude ist ein teuflisches Gefühl, haben wir in der Sendung gehört, über Jahrhunderte hinweg als schlimmste Eigenschaft der menschlichen Natur verpönt. Warum darf es sein, ihrer Meinung nach?

M. Titze: Es ist interessant, dass die Schadenfreude in der Kindheit entsteht. Wir haben ein wenig geforscht und wir kamen zu dem Ergebnis, dass die Schadenfreude in der Geschwisterrivalität wurzelt.
So ist es erst einmal das ältere, kompetente Kind, das sich hämisch freut, dass es in einer besseren Position ist als das weniger kompetente Kind, das ihm seine Position streitig macht. Man weiß ja, ein Kind das erst mal Einzelkind ist und als Erstgeborener von den jüngeren Geschwistern entthront wird, die dann obendrein noch alle Liebe und Zuwendung bekommen. Und das ist für das ältere Kind natürlich sehr schlimm. Deswegen muss dieses Kind seine verständlichen Gefühle von Wut, von Minderwertigkeit, von Neid und vor allem von Eifersucht, irgendwie kompensieren, und das geht am besten dann, wenn das jüngere Kind, das natürlich weniger kompetent ist, in eben dieser Inkompetenz vorgeführt wird.
Das führt dazu, dass ältere Kinder den jüngeren oft haarsträubende Münchhauseniaden erzählen und sich darüber köstlich amüsieren. Und dann ist plötzliche diese Ungerechtigkeit kompensiert, die die Erstgeborenen so schmerzlich empfinden.

A. Fitsch: Glaubt man den Neurologen, dann ist zum Beispiel der Hang zur Schadenfreude sogar tief in der Nervenstruktur des Gehirns verwurzelt, das heißt, darüber kann man sich natürlich trefflich streiten, das es nicht unbedingt ein erlerntes, aber ein bereits in den Genen angelegtes Gefühl ist?

M. Titze: Ja, da gibt es Forschungen von der Universität Zürich, wo festgestellt wurde, dass Schadenfreude das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Es wird auch aktiviert, wenn Menschen andere bestrafen oder sehen, wie diese zu Fall gebracht werden das entspricht dem Prinzip all unserer Comedy-Sendungen. In diesem Fall kommt es dazu, dass Lustgefühle entstehen, dass also in unserem Gehirn tatsächlich etwas aktiviert wird, das vorher nur latent da gewesen ist. So entsteht dann tatsächlich eine Freude, die sich so in Worte fassen lässt: Ach wie schön ist dieses Leben, anderen geht es schlecht und mir geht es dabei gar nicht schlecht. Mir geht es sogar sehr gut, weil ich außen vor bleibe.

A. Fitsch: Aber wenn man noch mal diesen Gedanken von Ihnen aufgreift, warum darf Schadenfreude sein, dann hat es sicherlich auch eine, zumindest wie Sie sie auch therapeutisch einsetzen, eine zutiefst entlastende Funktion, dieses Gefühl?

M. Titze: Wir müssen jetzt auch an die jüngeren Geschwister denken, die eine ganz andere Form von Schadenfreude entwickeln. Sie bekommen es ja ständig mit, dass sie diejenigen sind, die immer zu kurz kommen, die dümmer sind, die weniger geschickt sind und die im Leben einfach deshalb zu kurz kommen, weil sie zeitlich nicht die gleiche Lerngeschichte haben wie die älteren Geschwister oder Spielkameraden. Dies müsste zunächst dazu führen, dass ein Minderwertigkeitskomplex entsteht außer, dass es dann eben die ausgleichende Möglichkeit gibt zu sehen, dass auch die Starken, die Kompetenten auf die Nase fallen können.
Das ist genau das Prinzip des Slapstick-Humors, dass eine Person, die über Prestige bzw. Überlegenheit verfügt, zu Fall kommt.

A. Fitsch: Es gibt die heimliche Schadenfreude, die offene, als Hohn, Spott, Ironie, Häme und Sarkasmus. In welchen Situationen empfinden wir sie eigentlich am stärksten?

Michael Titze: Ich würde sagen, wir empfinden Schadenfreude immer dann am stärksten, wenn mit unserem Selbstwertgefühl irgendetwas nicht so gelaufen ist, wie es eigentlich hätte laufen sollen. Das heißt, wenn wir zum Beispiel im Berufsleben oder auch im sozialen Leben in eine Randposition geraten sind und anfangen, an uns zu zweifeln und uns als ein Objekt von Minderwertigkeit und Schwäche erleben. Wenn sich aber die Möglichkeit bietet, diese Minderwertigkeitsgefühle auf andere zu projizieren, so dass diese als minderwertig, als schwach und als peinlich erlebt werden können, dann kommt dieses ursprüngliche Minusgefühl sofort zu einem Ausgleich. Dann fühlen wir uns, für vielleicht kurze Zeit nur, schlagartig besser.

A. Fitsch: Es kann ja auch ein Gefühl einer Gruppe sein. Wie sehr stärkt Schadenfreude zum Beispiel auch das Kollektiv, die Gruppe und natürlich auch den Konformismus?

M. Titze: Wenn jemand zu einer Gruppe gehört, die kein hohes Sozialprestige hat, entsteht ein Minus-Gefühl. Das kann Migranten betreffen oder auch Hauptschüler gegenüber Gymnasiasten, sowie Menschen, die berufliche Tätigkeiten ausüben, die sozial nicht angesehen sind. Diese Personen sind natürlich sehr interessiert, dass der überlegene Boss oder der bewunderte Mächtige, über den die Medien berichten, Schwächen preisgibt, über die man dann lachen kann.

A. Fitsch: Schadenfreude soll Außenseiter in ihre Schranken weisen und hin und wieder einfach nur ein gutes Gefühl vermitteln.
Schadenfreude ist eines der ganz wenigen Gefühle, das unmittelbar Entspannung gibt, ohne viel Energieaufwand. Manchmal reicht es schon, ein Interview zu lesen, in dem etwas steht, über das man sich erheben kann.
Schadenfreude als gesellschaftlicher Gleichmacher, das hat schon im Mittelalter funktioniert.


Prof. Werner Roecke, Literaturwissenschaftler an der Humboldt-Universität in Berlin, Ihr Spezialgebiet ist die deutsche Literatur des Mittelalters. Schadenfreude ist im allgemeinen Verständnis eine der verwerflichsten Emotionen, die ein Mensch überhaupt haben kann. Teilte man diese Auffassung im Mittelalter?

Roecke: Im Mittelalter teilte man sie wohl auch. Das kann man schon daran sehen, dass eine der üblichen Teufelsbezeichnungen der Herr Schadenfroh ist, und da man vor dem Teufel nun mal Angst hatte, ist wohl davon aus zu gehen, dass die Schadenfreude negativ bestimmt war.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich literarische Formen, in denen eine Schadenfreude praktiziert wird, die wir heute so nicht mehr kennen und das ist ein Hinweis darauf, dass man trotz der wohl weitgehend kirchlichen Ablehnung der Schadenfreude in Gesprächen die Schadenfreude durchaus zu votieren wusste.

A. Fitsch: Also heutzutage kann Schadenfreude eine entlastende Funktion haben. In Griechenland und auch in Rom wurden Geisteskranke oder Menschen mit körperlichen Schäden in den Theatern vorgeführt und im Mittelalter war das Lachen eine Art exklusive Komik. Wieso exklusiv?

Roecke: Na, exklusiv würde ich so nicht sagen. Es ist eine Komik, die aggressiv ist, und damit auch exklusiv, aber jede exklusive Komik ist gleichzeitig auch inklusiv. Das heißt, wenn sie heute zum Beispiel einen Witz erzählen, in einer Gruppe über jemand Anwesenden, da passiert da natürlich etwas Exklusives, was derjenige über den gelacht wird, der wird ausgelacht, was ja sehr weh tut und damit ist er außerhalb dieser lachenden Gruppe zugleich konstituiert.
Man muss immer das Exklusive und das Inklusive miteinander verbunden sehen. Das ist schon ein interessanter Prozess, weil sich das natürlich in der Antike anders darstellt als im Mittelalter und im Mittelalter noch als heute.

A. Fitsch : In welchem Rahmen wurde denn diese Schadenfreude eigentlich gelebt? Bei Hofe?

Roecke: Im Mittelalter kann man sagen, ja. Im Mittelalter haben wir zwei ganz interessante Bereiche, die heute völlig vergessen sind, die aber doch, so glaube ich, für das Problem sehr wichtig sind.
Wir haben eine Erzählform, die nennt man Facetiae (aus dem lat. facetus - der Witz). Wir wissen, dass diese Witzkulturen, in einem einerseits höfischen, andererseits kirchlichen Kontext gepflegt wurden, und zwar von hochgebildeten Leuten. Ich nenne diese beiden Autoren, weil die mir sehr wichtig sind. Das eine ist ein italienischer Humanist, der lateinisch geschrieben hat: Poggio Bracciolini, der berichtet, dass es mitten im Vatikan ein sogenanntes Lästerstübchen gegeben hat. In Parenthese sei gesagt, das hat es wahrscheinlich nie gegeben, aber der Umstand, dass er so tut, als hätte es das gegeben, spricht natürlich Bände.
In diesem Lästerstübchen herrscht folgendes Ritual, dass die höchsten Kleriker des Vatikans sich Geschichten erzählen, über diejenigen, die gerade abwesend sind und am nächsten Abend kommen dann diejenigen, die am Abend vorher nicht da waren und hetzen über diejenigen, die nun nicht da sind. Das heißt, es ist also eine kulturelle Form, man könnte etwas abgeschwächt sogar sagen auch eine Kommunikationform, aber es ist zunächst einmal eine Form des aggressiven Gelächters in diesem Kontext des Vatikans.
Das gleiche gilt für den Hof der Medici. Wir haben einen ganz wunderbaren Erzähler, Angelo Poliziano, der also die unterschiedlichsten Geschichten erzählt, aggressivster Art. Kurze pointierte Erzählungen, häufig nicht mehr als zwei oder drei Sätze, in denen die Schadenfreude auch im Mittelpunkt steht.

A. Fitsch: Ging dann eigentlich diese Schadenfreude, wenn wir bei dem letzten Beispiel bleiben, bei den Medici, ging es dann z. Bsp. meist von den gehobeneren Schichten aus, die dann die unteren Schichten als Zielscheibe ihres Spottes missbrauchten?

Roecke: Nein, das würde ich so nicht sagen. Es ist häufig doch schon so, dass man sich gerade gegenüber den Gleichgestellten zu positionieren versucht. Sagen wir mal so, bei diesem Angelo Poliziano ist es so, da haben wir also von Lorenzo di Medici eine ganze Reihe von solchen Erzählungen oder kurzen Statements, die sich dann gegen Studenten und andere richten, die sind also ständig gleich. Bei Poggio ist es so, dass es in der Regel gegen hohe und höchste Kleriker geht, ihnen Dinge unterstellt werden, die dann nur noch peinlich für sie sind.
Das ist dann nicht immer Schadenfreude, aber es ist schon ein Gelächter über diese hohen Kleriker, was für sie alles andere als angenehm gewesen ist.

A. Fitsch: Das Infrage-stellen der Autoritäten, des kirchlichen Denkens, der kirchlichen Hierarchien, auch der politischen Klasse?

Roecke: Das würde ich so sagen, ja. Lassen Sie es mich so sagen, es ist ein literarisches Spiel, es ist sicherlich kein revolutionärer Akt. Es ist aber ein literarisches Spiel, in dem natürlich die, nicht so die Konventionen, sondern auch die Ansprüche, auch das Selbstverständnis, auch in diesem Falle die theologischen Überzeugungen von diesen Klerikern verlacht wurden. Das ist überhaupt eine Geschichte, die wir im Christentum von Anfang an haben, dass es neben der Orthodoxie immer noch eine Unterlinie, eine Unterschicht, etwas Subkutanes gegeben hat, in dem tatsächlich ein Gelächter auch über die heiligsten Akte des Christentums denkbar unmöglich waren.

A. Fitsch: Kann man eigentlich diesem Gelächter, dem Auslachen, dem Verspotten auch eine positive Funktion in der damaligen Zeit abgewinnen?

Roecke: Ich würde schon meinen, dass es also für eine Gesellschaft ein Akt der Befreiung ist, wenn es möglich ist, über Autoritäten zu lachen. Wir haben es ja in den unterschiedlichsten Kulturen, wir haben ja auch in modernen Diktaturen, in totalitären Gesellschaften, den politischen Witz gehabt. Der hat ganz sicherlich entlastende Funktion. Im Mittelalter stelle ich mir das ähnlich vor.
Es gibt da nur noch eine andere Dimension, die ich sehr interessant finde. Dass nämlich nicht nur die Repräsentanten des Systems, also diese stereotypen, geilen, dummen wie auch immer Kleriker verspottet wurden, sondern dass es eben auch Parodien, Verlachensstrukturen, Verlachensrituale gegenüber den heiligsten Überzeugungen gegeben hat. Das ist natürlich ein sehr interessanter Punkt, dass diese Kirche des Mittelalters nie so eindeutig war, nicht nur aus Orthodoxie bestand, sondern aus ganz unterschiedlichen Tendenzen, wovon dann eben dieses aggressive Gelächter eine gewesen ist.

A. Fitsch: Wenn ich das dann so höre, dann habe ich den Eindruck, dass das, was im Mittelalter geschah, diese Form der aggressiven Komik, wie Sie sagen, dass das auch heute noch praktiziert wird, was denken Sie?

Roecke: Also man müsste ja sehen, wo das der Fall ist, aber im kirchlichen Bereich kenne ich das jetzt so nicht. Aber ich denke, dass das, was wir da im Mittelalter beschreiben können als aggressiven Witz, wir heute auch haben.
Ich denke, dass im Rahmen meiner Überlegungen dazu, dass das, was im Mittelalter in der Hochkultur, was ich da von den Facicien erzählt habe, ist Hochkultur, möglich ist, dass dieses heute in der Hochkultur nicht mehr möglich ist. Was wir heute zum Beispiel im Comic haben oder auch im Fernsehen bei Harald Schmidt, wenn er denn gut ist, was er nicht immer ist, aber wenn er gut ist und diesen aggressiven Witz hat, den er früher noch stärker hatte, dann sehen Sie daran, dass in unterschiedlichen medialen Bereichen wir so etwas auch noch haben. Zum Teil, was mir immer wieder auffällt, mit ganz ähnlichen Verlachensmustern, die wir aus der Antike und dem Mittelalter kennen.

A. Fitsch: Prof.Dr. Werner Roecke, Literaturwissenschaftler an der Humboldt-Universität in Berlin, über die Motive der Schadenfreude im Mittelalter.
Jetzt haben wir auch gelernt, dass Harald Schmidt irgendwie auch Mittelalter ist.


Wie nennt man das Spiel zwischen Angela, Guido, Roland und Horst?
Genau - Mensch ärgere dich nicht.


Sprecher: Horst hat voll Pech. Er schiebt ein Männchen nach dem anderen aus dem Haus, aber die werden alle sofort wieder rausgeschmissen und meistens von Guido, der hat alle vier Männchen draußen und gibt mega an und reißt komische Sprüche.
"Leistung muss sich wieder lohnen ..." sagt er
"Was soll das heißen?" ... fragt Horst
"Dass du wieder raus bist", sagt Guido und kickt Horsts Männchen zurück ins Haus und der ist total sauer.
Roland hat erst zwei Männchen draußen, aber er gibt sich echt Mühe, sich überhaupt nicht zu ärgern.
"Tu nicht so, du willst doch auch gewinnen" ... sagt Guido ganz gemein.
Aber Roland schüttelt den Kopf und sagt: "Ich bin völlig zufrieden, wenn ich zweiter werde. Warum soll ich mich ärgern?" - aber sein Kopf ist ganz rot dabei.
Angela lässt ihre Männchen alle im Haus stehen.
"Wieso machst du das?" ... fragt Horst
"Na, weil ihr sie sonst ja sowieso rausschmeißt" ... sagt Angela und grinst wieder so komisch und Horst ist natürlich total sauer.
Beim nächsten Mal würfelt er eine Vier und zieht sein Männchen trotzdem aus dem Haus.
"Hey, das geht nicht" ... sagt Guido ..."das ist gegen die Regeln."
"Ich spiele nach bayrischen Regeln. Da dürfen die blauen nach jeder Zahl ziehen" ... schreit Horst zurück.
Aber die anderen schieben sein Männchen einfach zurück ins Haus und er ist so was von sauer. Früher hat er mit dem Trick immer gewonnen, aber irgendwie klappt es nicht mehr. Er tritt Guido unter dem Tisch und der tritt zurück
"Hey Angela, die treten sich" ... petzt Roland ..."Geh doch mal dazwischen."
Aber Angela sagt nichts. Sie würfelt eine sechs und gibt den Würfel weiter.
"Die spielt gar nicht mit uns" ... jammert Guido ..."Vielleicht will sie ja lieber mit den grünen Männchen spielen?"
Angela sagt nichts.
"Wenn du nicht ziehst, dann kannst du auch nicht gewinnen" ... meint Roland herausfordernd, aber sie sagt: "Wohl kann ich gewinnen, auf meine Art und jetzt spielt weiter und ärgert euch nicht so. Wir sind doch Freunde ..." und dabei grinst sie wieder so - echt komisch.

A. Fitsch: Das Spiel geht weiter, das deutsche Spiel Mensch-ärgere-dich-nicht, noch hat keiner gewonnen.
Wir reden heute über die reinste Freude - die Schadenfreude, die froh macht. Besonders froh macht sie derzeit einige Feuilletonisten, die das Werk von Helene Hegemann erst großgeschrieben haben und jetzt Plagiat mit einer Todsünde gleichsetzen und sicherlich eine klammheimliche Freude darüber empfinden, dass nun der große Sturm für die schummelnde Helene ausgebrochen ist.
Diese Schadenfreude und die über andere Größen greift Marius Galler auf.

Galler: Vermutlich hat der liebe Gott manchen Menschen den Weg zu hohen Ehren, in den Olymp der Helden unserer Zeit, geebnet, damit wir ohne schlechtes Gewissen schadenfroh lachen dürfen, wenn sie herunter purzeln.
Als Guido Westerwelle ertappt wurde, es mit der englischen Sprache zu halten wie Graf Dracula mit dem Weihwasser, da war die Freude groß. Desgleichen beim Kollegen Oettinger, der gerade in den politischen Polithimmel nach Brüssel berufen worden war.
Die Republik lachte und freute sich diebisch, über seine Versuche, seltsame Worte aus zu sprechen und zu behaupten, es handle sich dabei um Englisch. Die aus der klassischen Tragödie bekannte Fallhöhe, sie funktioniert. Und die da unten lachen gerne, wenn die da oben mal so richtig ins Fettnäpfchen gelatscht sind.
Schadenfreude macht die Menschen wieder gleich und letztlich sind wir doch alle überzeugte Demokraten. Wir können auch beruhigt sein, etwas wirklich Schlimmes wird ihnen nicht passieren.
Wie sagt schon der Volksmund: Hochmut kommt vor dem Fall! Detlef Schrempp war ein mächtiger Manager. Eine Welt-AG wollte er zusammenkaufen. Chrysler, Mitsubishi - was kostet der Planet.
Außerdem posaunte er hinaus, bis zur Jahrtausendwende werde sein Unternehmen keinen Cent Ertragssteuer mehr berappen müssen. Dann kam der Elchtest, aber da hat sich der brave deutsche Steuerzahler aber gefreut.
Hybris ist eine wichtige Voraussetzung für eine mehr als klammheimliche Freude über den Schaden anderer. Wenn einer kurz davor ist, zu Superman zu mutieren, unverwundbar zu sein und dann trocken auf dem Boden aufschlägt, so dass alle sehen, der kocht auch nur mit Wasser, dann ist die Schadenfreude am Schönsten.
Auch Thomas Gottschalk tat einst einen folgenschweren Schritt.
Auf dem Höhepunkt seines Fernsehruhmes meinte er jetzt alles zu können. Er verließ die Mattscheibe und stieg als dauergrinsendes Winkmännchen in den Karnevalszug. In der sicheren Erwartung, dass ihm, dem größten Entertainer der Republik, das Fernsehvolk zujubeln würde.
Als sich zielsicher die erste Tomate auf ihn zu bewegte, geriet diese Illusion ins Wanken. Als dann eines der nachfolgenden Eier an seinem Ohr zerplatzte, der Inhalt in den Nacken zu rutschen begann, um dann langsam den Rücken runter zu gleiten, da hatte er die Lacher auf seiner Seite.
Bei Intellektuellen erzeugen Ruhm, Erfolg und mediale Dauerpräsenz gern eine kritische Masse an Neidern, die nur auf Ausrutscher lauern. Gab es in den letzten 20 Jahren irgendein Thema in Frankreich zu dem Bernard Henri Levy nicht weitschweifig auf allen Fernsehkanälen Kommentare gab? Jetzt wurde er bei einem Fehler erwischt. Er hatte einen Philosophen zitiert, den es nicht gibt. Und alle Journalisten, die eigentlich viel bessere Meinungen haben als er, die nur leider keiner fragt, haben nun ihre Freude.
Desgleichen im Falle Helene Hegemann. Sie hat jetzt Ruhm und Erfolg. Sie hat mit "Axolotl Roadkill" einen Bestseller und eine Nominierung für die Schrottlist zum Leipziger Buchpreis und das ohne, dass ihr Buch von den Feuilletonisten der Republik vorher gesichtet und gewürdigt worden wäre.
Das kann doch bei einer 17 jährigen nicht sein. Voilá, es ist ein Plagiat. Das schadenfrohe Lachen stellt die alten Verhältnisse wieder her und die dreiste Newcomerin befindet sich wieder auf Augenhöhe, mindestens.

A. Fitsch: Alles nur geklaut. Das erinnert an eine interessante und aufkeimende Frage: Wer hat die Dramen von Shakespeare eigentlich geschrieben? Da wir die Frage nicht beantworten können, haben wir uns an die Komödie Was ihr wollt gehalten, in der dem armen alten Hofmeister Malvolio schadenfroh nahegelegt wird, nicht nur idiotisch vor seiner Herrin, in die er verliebt ist, zu erscheinen, sondern er soll auch fortwährend über Politisches mit ihr reden, was sie wahrscheinlich besonders hasst.
Malvolio, ein klassisches Beispiel eines armen Tropfes, der zu Spott und Hohn einlädt und vor allem zu Schadenfreude inspiriert.
Peter von Matt, Literatur- und Kulturwissenschaftler in Zürich. In Shakespeares Komödie bekommen wir die Dramaturgie der Schadenfreude elementar vor Augen gerückt. Wie funktioniert diese Dramaturgie?

Matt: Im Theater kann man die Schadenfreude eigentlich in ihre einzelnen Teile zerlegen. Malvolio ist ein sehr gutes Beispiel. Wir haben eine Gruppe von Leuten, die eigentlich von Malvolio sekkiert werden, denen er immer den Meister spielt. Die spielen ihm nun einen Streich und amüsieren sich köstlich, als er wirklich voll in die Falle tappt.
Und wir als Zuschauer können das verfolgen.
Aber das Interessante ist nun, dass beim Theater und in dieser Handlung die Herrin Malvolios und die Herrin der anderen, die dem Malvolio den Streich spielen, das Ganze durchschaut und das eigentlich missbilligt und dass Malvolio wirklich gebrochen ist am Schluss. Ein armer Teufel, obwohl er ein eitler Geck ist, denn er ist durch diesen Streich so am Boden. Da hat sie Mitleid mit ihm und sie nennt auch die Tatsache, dass man ihm zu böse mitgespielt hat.
Wir haben eigentlich das, was sonst in uns selber passiert, wenn wir schadenfreudig sind, ein schlechtes Gewissen haben, dass wir gleichzeitig unser schlechtes Gewissen dämpfen müssen, damit wir das Vergnügen an der Schadenfreude haben. Das haben wir im Theater auf verschiedene Figuren aufgeteilt und das ist so spannend.

A. Fitsch: Und das bezieht sich auch u. a. auf diese Lady Olivia, die das alles gar nicht lustig findet, das wir zum Beispiel darüber lachen, wie man ihren Haushofmeister verhöhnt. Sie wird dann sozusagen zur Instanz des Mitleids, das auch uns zuweilen dann packt.

Matt: Ich meine, wenn es jemandem schlecht geht, sollten wir eigentlich Mitleid haben. Die Schadenfreude ist ein sehr schwieriges und komplexes Gefühl. Wir haben dem Betroffenen gegenüber, der beschädigt ist, Freude, obwohl wir eigentlich nach unserem moralischen Empfinden wissen, dass wir das nicht dürfen. Und wir brauchen immer eine Art Beruhigungsmittel, das uns selber beruhigt, dass wir diesen Genuss an der Schadenfreude haben.

A. Fitsch: Ein ebensolches Beispiel sind die drei gerechten Kammmacher von Gottfried Keller. Darin wird gleich eine ganze Stadt von der Schadenfreude erfasst, und sie haben festgestellt Peter von Matt, der Erzähler hat ein ganz merkwürdiges Doppelspiel. Worin besteht das?

Matt: Das ist ein ähnlicher Fall in der Grundanlage. Es sind drei sehr übersittliche Männer, die aber eigentlich nur geizig sind und voller Missgunst, denen wird nun eine Art Falle gestellt und sie geraten in eine peinliche Situation, so dass die ganze Stadt wild darüber lacht. Wir haben also das seltene Geschehen, dass eine ganze Stadt sich schadenfroh an drei Kerlen ergötzt.
Der Autor erzählt das so, dass wir eigentlich uns mit freuen mit den Stadtbewohnern. Als er das aber inszeniert hat, beschreibt er diese Opfer eigentlich immer als arme Teufel und beschreibt sie so, dass es uns beim Lesen gleichzeitig ans Herz greift, so dass wir selber als Leser in diesen Zwiespalt der Schadenfreude geraten. Das ist außerordentlich raffiniert erzählt.

A. Fitsch: Bei Kleists zerbrochenem Krug wird dort Dorfrichter Adam und noch eine andere Figur zum Narr der Richter, als er versucht, den Missbrauch an einem Mädchen namens Eva, man kann sagen, versucht zu bagatellisieren. Eigentlich ist das überhaupt nicht lustig. Worüber freuen wir uns da?

Matt: Wir freuen uns, weil dieser Richter Adam sich wichtig macht, weil er eine Maske aufsetzt, weil er sein Verbrechen, sein Vergehen kaschiert, weil er lügt und heuchelt und dann diese ganze aufgebaute Scheinwelt langsam in sich zusammenbricht.
Würde er zu seinem Vergehen stehen, dann wäre von Schadenfreude keine Spur, dann hätten wir so einen Gerichtsfall, wo wir so einigermaßen sachlich das zur Kenntnis nehmen.

A. Fitsch: Aber ist es im Leben eigentlich so, wie es die Literatur vorführt?

Matt: Die Literatur zeigt die Struktur, nimmt die Struktur auseinander in verschiedene Faktoren. Zum Teil ist es genau so, zum Teil ist es, weil wir in der Literatur ja alle Akteure nebeneinander und durcheinander sehen, ist es viel analytischer. Der Vorgang ist analysiert, während wir bei unserer eigenen Schadenfreude alles miteinander in einem gewissen seelischen Durcheinander erleben.

A. Fitsch: Das war Peter von Matt, Literatur-und Kulturwissenschaftler aus Zürich, über das Motiv der Schadenfreude in der Literatur.

Nun kommt die letzte Runde, das Endspiel von Mensch-ärgere-dich-nicht.

Sprecher: Inzwischen ist bei Angela, Horst, Guido und Roland voll das Chaos ausgebrochen. Das Spiel dauert schon ewig, aber es geht nie zu Ende. Guido und Horst schmeißen sich dauernd gegenseitig hinaus, Roland kommt irgendwie nicht voran und Angela bewegt ihre Männchen nur, wenn sie Lust hat, hat sie aber nicht.
Horst würfelt jetzt eine drei und kickt Rolands Männchen raus. Der versucht wieder so zu tun, als würde er sich gar nicht ärgern. Aber plötzlich rastet er voll aus und haut auf den Tisch, dass die Figuren wackeln ... "Ihr gehört doch alle ins Gefängnis ..." brüllt er."Ihr müsst mal lernen richtig zu arbeiten" ... und dann schimpft er noch auf die roten Figuren, obwohl die gar nicht mitspielen.
Die anderen ducken sich. Roland ist sonst echt nett, aber manchmal packt es ihn einfach. Alle schauen ihn an, ob er sich wieder beruhigt, nur Guido wohl nicht, denn der will schnell eines seiner Männchen weiterschieben, weil er glaubt, dass es keiner sieht. Aber Horst hat es gesehen und ist total sauer: "Halt dich an die Regeln", brüllt er, aber da rastet Guido aus.
"Die Spielregeln sind doch was für Luschis und Verlierer. Ihr habt ja nur Angst weil ich besser bin ..."
"Die Regeln sind für alle gleich" ... meint Angela
"Sozialismus , schreit Guido. "Das ist dekadent, ich spiel nicht mehr mit."
"Ich schon lange nicht mehr , brüllt Horst und haut Guido.
"Gewalttäter ins Gefängnis!" ... brüllt Roland und haut so fest auf den Tisch, dass die Männchen in alle Richtungen wegfliegen.
"Und wer hat jetzt gewonnen?" ... fragt Angela ganz ruhig. Alle schauen sie an.
"Woher sollen wir das wissen?" ... sagt Guido...
"Die Männchen sind doch alle weg , sagt Horst
"Dann hab ich gewonnen , strahlt Angela
"Wieso du?" ... fragt Roland
"Weil es mein Spiel ist , sagt Angela. "Und wenn ihr was dagegen habt, dann können wir gerne noch mal von vorne spielen."
Aber da schütteln alle den Kopf und sind sich einig: Nie wieder Mensch-ärgere-dich-nicht.

A. Fitsch: Die Bedürfnisse des Menschen sind manchmal nur nieder und niederträchtig. Wobei wir bei der Wiener Gesellschaft landen, die sich gerade mal wieder im Glanz des Opernballes ergeht. Wir aber gehen tiefer, das heißt, Andreas Meyer-Feist mit einer Tour d'horizon, einer Psycho-Pathologie des Wiener Alltags.

Meyer-Feist: Schadenfreude - für den Wiener Sigmund Freud ein inszenierter Störfall in der sozialen Welt.
Wozu dient sie und wo geht sie über in Grausamkeit? In der Wiener Gesellschaft hatte er genügend Anschauungsmaterial.
In seiner Psycho-Pathologie des Alltagslebens schreibt Freud: Das Großartige der Schadenfreude liegt im Triumph des Narzissmus, in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs. In der Weigerung des Menschen, sich zum Leiden und Mitleiden nötigen zu lassen. Er zeigt durch Schadenfreude, dass ihm die Katastrophen der Außenwelt nicht nahe gehen können, dass sie ihm nur Anlässe zum Lustgewinn sind.
Georg Kreisler hat die Psychopathologie des Wiener Alltagslebens vertont. Die stille und laute Freude über die Schwachstellen der sozialen Ordnung, über die Fallen des täglichen Lebens.
Schadenfreude verhindert, dass man aus Schaden wirklich klug wird, wenn es andere trifft. Wer Glück im Unglück hat, hat keinen Grund sich zu beklagen, schreibt Paul Frischauer, Spross einer Wiener Verlegerfamilie in seinem düsteren Roman Finale in Wien. Die Geschichte eines Hungerleiders, dem in Wien übel mitgespielt wurde und der später in Übersee reich wurde. Er kehrt nach Wien zurück, voller Schadenfreude über die Schmach der anderen.
Die Schadenfreude erscheint hier als Fundament der Rache, die ihn daran hindert, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen.
Die Geschichte endet blutig.
Sich mit den Schicksalen anderer zu befassen, ohne sich mit sich selbst zu beschäftigen. Eine Lieblingsbeschäftigung der Wiener Gesellschaft schon in der Habsburger Monarchie. Dahinter steht die hochmütig überspielte Angst, selbst auf frischer Tat ertappt zu werden. Der innere Konflikt führt zu emotionalen Eruptionen, das erkannte schon der Dichter Peter Altenberg, selbst ein skurriler Apologet des kränkelnden Wiener Humors.
Seit es keinen erhabenen Begriff und keine verehrungswürdige Person gibt, die alle Wiener anerkennen, hat der Wiener nur sich selbst als Idol. Er hält im Grunde ebenso wenig von sich, wie er von anderen hält. Jedenfalls ist der Wiener für sich allein und das führt automatisch dazu, dass er gegen alle anderen ist.
Neidisch, geizig, zornig, unversöhnlich gegen die Unzulänglichkeiten der menschlichen Natur. Arme Wiener, sind sie wirklich so? Oder ist das auch nur die Schadenfreude derjenigen die ihren kranken Narzissmus über die Wiener triumphieren lassen? Vielleicht, aber wer den Schaden hat, der muss für den Spott nicht sorgen und die Wiener sind ja schon genug gestraft mit Sigmund Freud, Peter Altenberg und Georg Kreisler.

A. Fitsch: Das sind sie wirklich. Die Wiener und die Schadenfreude, die sie offenbar als reinste Freude ansehen.