Jaques Tilly - Politik und Provokation
Satiriker von großer Treffsicherheit
Wenn es nicht möglich ist, zu einer Ausstellung zu gehen, bleibt nur eines. Man holt sich die Ausstellung in die eigenen vier Wände. Ausstellungskataloge machen dies möglich. Natürlich fehlt der Betrachterin das sinnliche Erlebnis der Ausstellung. Der Katalog zur Ausstellung des Karikaturisten Jacques Tilly in der Ludwiggalerie in Oberhausen ist ein ebenso amüsantes Erlebnis wie der Besuch der Ausstellung im Schatten des Gasometers.
Viele Menschen kennen seinen Namen nicht. Sie kennen jedoch die Pappmaché-Figuren, die die Mottowagen im Düsseldorfer Rosenmontagszug zieren. Sie treiben das Zeitgeschehen und den politischen Alltag auf die Spitze. Tillys Botschaften bleiben in Erinnerung, mit ihnen muss sich die Betrachterin auseinandersetzen. Ralf König, selbst Karikaturist, formuliert es treffend in seinem Beitrag für den Katalog: Der Mann erfüllt ja auch mit Bravour den Job, einmal im Jahr den Stinkefinger zu zeigen, den riesengroßen, aus Draht, Tapetenkleister und Altpapier! Ja, es laufen jede Menge Bekloppte rum da draußen, politisch und religiös Verblendete, da kann einem schon mulmig werden. Umso wichtiger ist, dass Leute wie Jacques und sein Team weiter den Tapetenkleister anrühren . Gegen Humorlosigkeit hilft nur Humor (S. 13).
Wer in politisch oder anderer gesellschaftlicher Verantwortung steht, der ist vor der Kritik und satirischen Zuspitzung Tillys nicht sicher. Ein bundesdeutscher Kanzler wird als kannibalistischer Indianer gezeigt, der an einer Keule die Schrumpfköpfe gegen ihn aufgetretener Putschisten zeigt. Dabei hat der Kanzler ein unbedecktes Genital. Oder ein grinsender Mann in Soutane hat einen Jungen auf dem Schoß und sagt scheinbar sachlich: Bei uns ist jeden Tag Weltjugendtag (S. 25). Oder ein russischer Präsident und ein orthodoxer Patriarch fassen sich an die Geschlechtsteile und beantworten die Frage, ob sie schwulenfeindlich sind: Wir doch nicht (S. 31).
Dies bewegt Christine Vogt, die Leiterin der Ludwiggalerie in Oberhausen, dazu, Tilly einen der bissigsten deutschen Karikaturisten, einen Satiriker von großer Treffsicherheit und bildlichem Instinkt zu nennen. Sie wagt einen Gang durch das abwechslungsreiche und lebhafte Wirken Tillys mit seinen Pappmaché-Figuren, die nahezu gänzlich in jedem Jahr im Rosenmontagszug und anschließend in Nachrichtensendungen in aller Welt zu sehen sind. Tilly ist in den Augen Vogts einer der großen deutschen Mahner und das auch noch mit Humor (S. 38).
In der Ludwiggalerie stehen zwar nicht die Pappmaché-Figuren. Doch finden sich dort unzählige Karikaturen und Skizzen, die als Vorlage für den eifrigen Bau gedient haben. Im Katalog kann die Betrachterin Tillys Denken und Fühlen in aller Ruhe genießen. Apropos Genuss: die Darstellungen sind häufig so zugespitzt, dass einem das Lachen zu vergehen scheint. Doch liegt genau in dem Mut und der Energie, sich weder den Mund noch die Feder verbieten zu lassen, um die Gegenwart gegen den Mainstream zu denken.
Es ist eine unglaubliche Freude, den Katalog in die Hand zu nehmen, die Karikaturen in aller Ruhe zu genießen. Dabei ist es nicht das Gefühl der Dankbarkeit, dass Tilly mit dem Finger auf das Geschehen zeigt, das es zu kritisieren gilt. Es ist eine Ermutigung, den Absurditäten des Alltags auf den Grund zu gehen und die komischen Seiten dessen in den Blick zu nehmen.
Christine Vogt: Jacques Tilly Politik und Provokation Karikaturen XXL, Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, ISBN 978-3-932236-43-3, 96 Seiten, 14.90 Euro.