Kamelle, Tod und Leidenschaft
Wolfgang Oelsner / Joachim Rönneper (Hrsg.)
Kamelle, Tod und Leidenschaft Das Lesebuch vom Karneval
Marzellen-Verlag, Köln 2007
ISBN 978-3-937795-09-6
256 Seiten
Es ist einmal ein ganz anderer Zugang zum Karneval, den die Karnevalsbegeisterten Wolfgang Oelsner und Joachim Rönneper ermöglichen. Sie haben literarische Zeugnisse bekannter Schriftsteller deutscher Sprache gesammelt, die sich zum Karneval ausgelassen haben. Und es ist ein kurzweiliges und lebhaftes Buch entstanden, das man immer mal wieder gerne in die Hand nimmt weil man sich eine Verschnaufpause auf dem Sofa gönnt, weil man sich die Zeit während des Arbeitswegs angenehm gestalten will, weil man einfach selber Freude an der fünften Jahreszeit hat.
Das Buch Kamelle, Tod und Leidenschaft ist sehr von der rheinischen Lebensart geprägt. Es bleibt bei den beiden Herausgebern natürlich nicht aus. Trotzdem tut dieses Faktum der Freude an dem Buch keinen Abbruch. Schließlich ist es alleine schon deshalb angenehm, da es sich fernab des Lackschukarnevals oder Trinkeskapaden bewegt. Vielmehr haben der Psychologe Oelsner und der Germanist Rönneper eine geistige Nahrung serviert, an der man von Seite zu Seite mehr Freude hat. Sie unterstreichen selber, was sie mit der Sammlung literarischer Texte bewirken wollen: Karneval wird vom Gros der Kulturschaffenden als billiges Tralala wahrgenommen, unterhalb von Volksmusikgejodel. Von einer Akzeptanz als Kulturfest als ein im christlichen Jahreskreis verankertes Fest der Volkskultur ist nichts zu spüren.
Die Texte von Johann Wolfgang von Goethe und Annette von Droste-Hülshoff, von Kurt Tucholsky und Ludwig Thoma, von Erich Kästner und Willi Ostermann sprechen eine andere Sprache. Sie präsentieren ein farbiges Kaleidoskop, das den Karneval über das ganze Jahr hin zu einem wenn auch nur geistigen Erlebnis macht. Oelsner und Rönneper wörtlich in ihrem Vorwort: Erzähl-und Dichtkunst einerseits und die karnevalistische Liedkultur andererseits werden weiterhin auf getrennten Wegen zu finden sein. meist auf unterschiedlicher Niveauhöhe. Doch gute Texte, hier wie dort, zielen auf denselben Gegenstand: auf das Menschliche mit all seinen Sehnsüchten, Ängsten, seinen trotzigen Bewältigungsversuchen, seinen Triumpfen und seinem Scheitern. Archetypen des Lebens, unsere Ambivalenzen von Liebe und Hass, Hoffen und Resignieren, Aufblühen und Ersterben bleiben der Stoff sowohl der Volksbühne wie der grossen Schauspielhäuser.
Auf dem Fundament einer solchen Argumentation macht es natürlich umso mehr Freude, die literarischen Zeugnisse zu lesen und sie zum Anlass zu nehmen, über das eigene Sein und Dasein nachzudenken. Oder sind die Gedanken eines Hanns-Josef Ortheil anders zu verstehen: Sie sin widder da, die Karnevalisten, sie haben die Katastrophen eines Jahres und seinen Alltag überstanden, jetzt dürfen sie feiern, nicht übertrieben laut und überhaupt nicht so, als wären sie dazu verdonnert. Sie bestellen ihr Kölsch, sie senken den Kopf, ihre weiße Schminke glänzt im mattgelben Lampenlicht der Brauhäuser. Und irgendwo unten, zu ihren Füssen, sitzen wir Kinder, traumverloren und glücklich, um in den späten Stunden durch den Krom und die Melange dieses aufschäumenden Lebens zu krabbeln, das es nur in Köln gibt, einzig in Köln.
Ganz andere Gedanken hat sich der Kölner Schriftsteller Heinrich Böll gemacht: Die vielen unbekannten großartigen Narren, die in diesen Tagen unsere Straßen bevölkern; die Originale, die ihren Namen niemals preisgeben, beweisen, dass sie etwas besitzen, was selten zu werden beginnt: Individualität sich für einige Tage zum Narren zu machen, sein eigenes verbrauchtes, abgenutztes Gesicht, diese verschlissene Maske des Alltags ablegen zu können, das beweist wirklich, dass die kindlichen Elemente noch nicht ganz verbraucht, nicht ganz verdeckt sind Ein beeindruckendes Buch, das einen besonderen Platz im Bücherregal oder auf dem Wohnzimmertisch verdient.
Christoph Müller