Humor in der psychiatrischen Pflege
"Botschafter der Freude"
Pflegefachmann schreibt über Humor in der psychiatrischen Pflege
Unter die Lupe genommen von Christoph Müller
Die wichtigste Botschaft des Buchs "Humor in der psychiatrischen Pflege" ist: Jonathan Gutmann zeigt sich als Botschafter der Freude und der Heiterkeit. Diese einsamen Rufer hat die psychosoziale Arbeit auch nötig. Denn allzu ernsthaft und problemorientiert suchen psychiatrisch Tätige die Begegnung mit psychisch erkrankten Menschen. Gutmann scheint im Rahmen seiner Weiterbildung zum Fachkrankenpfleger für Psychiatrie das Lachen und den Humor als Thema zur intensiveren Auseinandersetzung gefunden zu haben. Seine Mentorin Hilde Schädle-Deininger hat es sich nicht nehmen lassen, Worte zu finden, die die Wichtigkeit des Humors in der psychiatrischen Arbeit betonen: "..., dass sich psychiatrische Pflegeexperten klarmachen müssen, dass Humor von innen kommt und von Herzen kommen muss, dass es um eine Haltung geht, sich nicht selber ernst zu nehmen und über seine eigenen Fehler und Missgeschicke Lachen zu können sowie Einfühlungsvermögen und Authentizität für zentral zu erachten und über eine Portion Heiterkeit zu verfügen." (S.14)
In erster Linie ist Gutmanns Buch als Grundlagenarbeit zu verstehen, die einen wichtigen Impuls in die psychiatrisch-pflegerische Arbeit senden könnte. Nach der Überblick-Publikation "Das kann ja heiter werden! Humor und Lachen in der Pflege" der Schweizer Pflegewissenschaftlerin Iren Bischofberger ist seine Arbeit ein konzentrierter Blick auf ein wichtiges Arbeitsfeld der Pflege. Gutmann gelingt es, den State-of-the-art der humorvollen und spielerischen Arbeit in der Begegnung mit seelisch leidenden Menschen zu beschreiben. So passt er den Humor in das Pflegeprozess-Modell von Hildegard Peplau ein. Er bringt den Humor in ein Gesamtkonzept von Gesundheitsförderung ein, bei dem Stichworte wie Salutogenese und Resilienz, Empowerment und Recovery fallen. Und er stellt auch die Vielfältigkeit von humorvollen Interventionen dar, die im psychiatrischen Arbeitsfeld - weshalb auch immer - meist ungenutzt bleiben.
Humor und Heiterkeit in die psychiatrische Pflege einzubringen, dies erfordert Mut. Noch mehr: es braucht Engagement und die Bereitschaft, jenseits gewohnter Wege zu denken und zu gehen. Gutmann hat offenbar die Energie, bislang wenig genutzte Wege begehbar zu machen. Er will Modell für eine gelingende psychiatrische Pflege sein, wenn er trialogisch ins Gespräch mit Humor-Experten der eigenen Art zu gehen. Die Psychiatrie-Erfahrene Sybille Prins erinnert an die eigene Aussage "Goethe ist stärker als Zyprexa". Sie erläutert: "Humor leistet etwas ganz anderes, als ein Medikament das könnte ... Ein Medikament verhilft mir nicht zu einer konstruktiven Sicht auf das Leben und gegebenenfalls auf die Erkrankung, zu einer neuen Lebensperspektive, zu einem guten Selbstwertgefühl oder zu guten sozialen Beziehungen ..." (S. 242)
Es wirkt erfrischend, den Humor und die Heiterkeit aus den verschiedenen Perspektiven anzuschauen. Die Angehörige Irmela Boden spricht im Zusammenhang mit dem Lachen in der Psychiatrie von einem "inneren Ortswechsel in der Betrachtung der Erkrankung" (S. 252) des psychisch erkrankten Vaters. Sie glaubt, dass Humor "einen wohltuenden Einfluss auf die Angehörigen hat" (S. 253). Gibt es Humor im Kontext einer psychischen Erkrankung, so stellt Irmela Boden fest: "Der Ernst der Lage bleibt - der geht sowieso nicht verloren -, aber er ist weniger mit dem Angehörigen verstrickt." (S. 253) Der Gerontopsychiater Rolf Hirsch, ein Motor des Humorvollen in der psychiatrischen Arbeit, nutzt im Gespräch mit Gutmann die Gelegenheit, entscheidende Sätze zu sagen: "In Würde altern kann man nur mit Humor. Sich selbst wichtig zu nehmen, über Rechthaben zu streiten und immer die Kontrolle zu besitzen, verringert die Chance, in Würde altern zu können." (S. 260) Ebenso betont Hirsch, dass qualifizierte Pflege nicht möglich sei, wenn man sie respektvoll, kompetent und nicht nur leitlinienorientiert durchführen wolle.
Gerade die trialogisch angedachten Diskurse über den Humor in der Psychiatrie und in der psychiatrischen Pflege rufen nach mehr Intensität, nach mehr gemeinsamer Suche. Vielleicht kann Gutmanns Buch ein Anstoß in diese Richtung sein. Mehr Impulse brauchen sicher auch Gutmanns Überlegungen zum Zusammenhang von Humor und Milieutherapie. Gutmann stellt sich in die Tradition seiner Mentorin Schädle-Deininger, wenn er schreibt: "Milieu ist ja nicht allein das Aussehen und die Gestaltung einer Einrichtung. Milieu ist auch die Einstellung, die Haltung und das Rollenverständnis der Mitarbeiter sowie die Gestaltung von Beziehungen." (S. 104) Insofern stellt sich die Frage, inwieweit ein humorvolles und heiteres Miteinander in den verschiedenen psychiatrischen Settings als Nagelprobe für "professionelles" psychiatrisches Arbeiten verstanden werden kann.
Gutmann erinnert daran, dass die psychiatrische Pflegewissenschaft den Humor und die Heiterkeit bislang vernachlässigt hat. Dies trifft sicher zu. In einem multiprofessionellen Verständnis psychiatrischen Arbeitens wäre es sicher spannend, die Überlegungen zu "Lachen und Humor bei psychischen Störungen" zu intensivieren und wissenschaftlich mehr unter die Lupe zu nehmen. Einzelnen Autoren ist die Notwendigkeit bereits bewusst geworden. Mehr Gründlichkeit wäre an dieser Stelle gefragt. Wäre Gutmann der Anstoßer, hätte sein Buch schon einen großen Meilenstein erreicht.
Eine kritische Bemerkung sei erlaubt. Gutmann schreibt über die vielerorts alltägliche Übung psychiatrisch Pflegender, Schlüsselbänder zu tragen. Es ehrt ihn, wie viele andere Kolleginnen und Kollegen auch, diese mit lustigen Sprüchen zu tragen. Bei der hohen Sensibilität, die Gutmann gegenüber dem Tragen von Alltagskleidung als Dienstkleidung entgegenbringt (eindrucksvoll!), steht immer aber auch die Frage im Raum, inwieweit Schlüsselbänder in der psychiatrischen Pflege als Signal der Überlegenheit genutzt werden.
Nichtsdestotrotz ist zu hoffen, dass Gutmann als ein Rufer unter wenigen in der psychiatrischen Pflege sich nicht in absehbarer Zeit einmal in einen Chor einreihen kann. Um der Menschen und der Abwechslung psychiatrischen Arbeitens willen ist es zu wünschen.
Jonathan Gutmann: Humor in der psychiatrischen Pflege, Hogrefe-Verlag, Bern 2016, ISBN 978-3-456-85627-8, 308 Seiten, 29.95 Euro.