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Gähnen

Unverzichtbares Gähnen

Peter Cubasch: Gähnen - Der natürliche Weg zu entspannung und Wohlbefinden, HCD-Verlag, Tuttlingen 2016, ISBN 978-3-938089-23-1, 163 Seiten, 20 Euro.

Haben Sie es schon einmal erlebt, dass Sie sich von einem Autor die Frage gefallen lassen müssen, ob Sie während der Lektüre bereits gegähnt haben? Es wird Ihnen bislang ergangen sein. Wenn dies der Fall gewesen sein sollte, haben Sie das Buch zur Seite gelegt. Der Psychotherapeut Peter Cubasch will unbedingt, dass Sie beim Lesen seines Buchs gähnen. Denn dann ist klar, dass Sie sich mit dem ungewöhnlichen, aber eigentlich so alltäglichen Thema angefreundet haben.

Es ist beileibe gar nicht langweilig, was Cubasch zum Gähnen zu schreiben weiß und zu welchen praktischen Übungen er die interessierte Leserin anleitet. Entscheidend ist, dass er die Überlegungen zu den Zusammenhängen von Gähnen und Atmen sehr ausführlich gestaltet. Chasmologie nennt man die Wissenschaft vom Gähnen. Doch scheint die Forschungslage zum Gähnen noch sehr dürftig, wie Cubasch bedauert.

Trotzdem kann manche Feststellung in der Gegenwart gemacht werden. Unter anderem berichtet Cubasch, "dass Müdigkeit zwar Gähnen auslöst, dass andersrum Gähnen aber keine mess-und erlebbaren Auswirkungen auf die Wachheit hat" (S. 41). Auch die alltäglichen Erfahrungen zeigten, "dass wir gähnen, weil wir müde sind, und nicht, um nicht müde zu sein" (S. 41). Amüsierend wird es, wenn Cubasch die sozial-kommunikative Bedeutung des Gähnens beschreibt. Nach einem langen Familienabend mit Spielen und Erzählen könne Gähnen signalisieren, dass alle müde und zufrieden seien und zu Bett gehen wollten (S.42).

Die Hirnforschung hat das Phänomen Gähnen schon näher in den Blick genommen. In Anlehnung an den Neuropsychologen Robert Provine äußert Cubasch die Überzeugung, dass Gähn-Forschung zu bedeutsamen Erkenntnissen führen würde. Was zum jetzigen Zeitpunkt über die neurobiologische Bedeutung des Gähnens bekannt ist, beeindruckt die neugierige Leserin schon jetzt. Oder wundert diese Aussage nicht?: "Es sind also elementare und lebenserhaltende Vorgänge, die durch das Gähnen stimuliert werden. Wenn wir diese immense Bedeutung erkennen, wird nachvollziehbar, warum wir das Gähnen nicht unterdrücken sollten." (S. 49)

Gähnen ist so alltäglich wie es bei einem tieferen Nachdenken über Phänomene unbeachtet ist. Umso wichtiger ist Cubaschs Buch "Gähnen". Dies sollte vielleicht einmal von der philosophischen Phänomenologie einmal näher unter die Lupe genommen werden.

Christoph Müller