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Der pure Wahnsinn

Ein Mensch trinkt den Kakao, durch den er gezogen wird

 

Was machen psychiatrisch Pflegende, wenn Sie sich nicht um Menschen sorgen, deren Seelen aus dem Gleichgewicht gekommen sind? Es gibt welche, die im Schreiben Abstand zum beruflichen Alltag suchen. Es gibt andere, die ihrer Kreativität im Malen und Zeichnen Ausdruck verleihen. Heiko Kirsten und Jonathan Gutmann gewähren mit ihren künstlerischen Potentialen nun Einblicke in den Alltag der psychiatrischen Versorgung. Denn mit dem Buch Der pure Wahnsinn setzen sie ein Zeichen für das Menschliche und das Lebendige in der manchmal dunklen Welt der Psychiatrie.

 

Es gebe Orte, mit denen man von vornherein etwas Unangenehmes, tendenziell Bedrohliches assoziiere, stellt der Psychotherapeut und Humorforscher Michael Titze in seinem Geleitwort fest. Kirsten und Gutmann nehmen das Unbehagen und die Furcht vor der Psychiatrie. Es gelingt ihnen durch die zuspitzenden Cartoons, die nicht nur langjährige Erfahrungen in der Begegnung mit seelisch angeschlagenen Menschen und dem gelegentlich verquerten psychiatrischen System widerspiegeln. Kirsten greift die Momente heraus, die einer unbedingten Radikalisierung bedürfen. So wird ein verschüchterter Mann vor einem zahlenmäßig überlegenen Fachgremium gebeten, doch einmal von seiner Sozialphobie zu erzählen.

 

Die vielen Cartoons sind in Schwarz-Weiß gehalten. Damit schafft es Kirsten als Zeichner die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das Wesentliche zu lenken. Die inneren Haltungen der Menschen, die sich in der Psychiatrie begegnen, stehen im Zentrum. Da wundert es nicht, wenn Kirsten eine Szene radikalisiert, in der eine Krankenschwester oder Ärztin einem psychisch veränderten Menschen zur Medikamenteneinnahme zu überreden versucht. Zwei beobachtende Krankenpfleger wetten gleichzeitig um 10 Euro, ob ihr die Intervention gelingen wird.

 

Ob depressive Kleinheitsphantasien, manische Überbietungsansprüche oder paranoide Schamängste eine positive, humorvolle Haltung könne in der Psychiatrie nur Vorteile bringen. Ein Mensch trinke den Kakao, durch den er gezogen werde, glaubt der Vordenker des therapeutischen Humors, Michael Titze.

 

Diese Gelassenheit müssen psychiatrisch Pflegende und auch alle anderen psychiatrisch Tätigen sicher erst einmal entwickeln. Deshalb scheint sich Jonathan Gutmann, der sich bereits mit einem theoretisch fundierenden Buch über den Humor in der psychiatrischen Pflege einen Namen gemacht hat, zu nachdenklichen Worten hinreißen: Viele professionelle Helfer missverstehen Humor leider noch immer Lachen und Humor sind Menschenrechte Mit ehrlichem, warmherzogen Humor könnte die Psychiatrie ihr Image sicher erfolgreich aufpolieren und sich in einem besseren Licht darstellen.

 

In sechs unterschiedlichen Kapiteln lassen Kirsten und Gutmann tiefe Einblicke in die Psychiatrie zu. Für diejenigen, deren seelische Balance aktuell verlorengegangen ist, sind die nachdenklichen Texte und erheiternden Cartoons möglicherweise nur ein kurzer Trost. Im Rückblick wird sie jede(r) genießen. Den psychiatrisch Tätigen sollte nach dem Schmunzeln und Lachen der Kloß im Halse stecken und zu einer Besinnung animieren. Kirsten und Gutmann sind freundliche und fröhliche Botschafter für das Humanum in der Psychiatrie.

 

Heiko Kirsten / Jonathan Gutmann: Der pure Wahnsinn Cartoons aus der Psychiatrie

Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2017

ISBN 978-3-17-033152-5

164 Seiten

19 Euro.