Alle Meschugge?
Markus Patka / Alfred Stalzer (Hrsg.)
Alle Meschugge? Jüdischer Witz und Humor
Amalthea-Verlag Wien 2013
ISBN 978-3-85002-825-7
424 Seiten
Heiterkeit und tiefere Einsichten
Ausstellung Alle meschugge ? macht jüdischen Witz und Humor zum Thema
Darf man im Angesicht der Shoah lachen ? Kann man über Gott lachen? Wie bösartig darf Humor sein? Dies sind Fragen, mit der sich die Ausstellung Alle meschugge? Jüdischer Witz und Humor beschäftigt, die ab dem 8. November in der Landesvertretung Rheinland Pfalz in Berlin zu sehen sein wird. Wer in diesem Sommer bereits das Vergnügen hatte, die Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien zu bestaunen, der möchte am liebsten in die Bundeshauptstadt reisen. Denn die Ausstellung Alle meschugge? Jüdischer Witz und Humor kann vor allem eines: die Dinge auf den Punkt bringen.
Dies schafft aber auch der mehr als 400 Seiten starke Katalog, den der Amalthea Verlag in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum in Wien herausgebracht hat. Wenn man den Bogen von Wien nach Berlin schlägt, so hat dies geradezu eine historische Bedeutung. Denn die beiden politischen Metropolen sind in der Wahrnehmung der Ausstellungsmacher auch Metropolen des Humors (gewesen). Gerade in der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg sind sie Heimatorte eines zuspitzenden Kabaretts gewesen. So schreiben Marcus Patka und Alfred Stalzer in dem Aufsatz Lachen in der Krise unter anderem davon, dass sich in den 1930er Jahren die Kleinkunstlandschaft nachhaltig verändert habe. War das Kabarett bis dahin weniger Stätte progressiver Satire, sondern reines Amüsierkabarett, so gründeten sich nunmehr immer mehr Kabaretts, die die Zeichen der neuen Zeit aufs Korn nahmen. Sie bildeten den Kontrapunkt zu den Ausstattungsrevuen der großen Theater und Unterhaltungsetablissements (71)
Es sind scharfe Konturen durch die Zeitläufte, die die Autorinnen und Autoren in dem Ausstellungskatalog Alle meschugge? Jüdischer Witz und Humor zeichnen. Diese Leistung haben ja auch viele Interpreten des jüdischen Witzes in Vergangenheit und Gegenwart vollbracht. Umso wichtiger erscheint es, dass man das Profil des jüdischen Humors auch mit Namen verbinden kann. Namen wie Karl Farkas, Friedrich Torberg und Fritz Grünbaum werden ins Scheinwerferlicht gerückt. Mehr noch, wer durch die eindrucksvolle Ausstellung schreitet, kann die Kabarettisten jüdischer Abstammung auch nochmals erleben mit Ton-und Filmdokumenten.
Grundsätzliches kommt zur Sprache. Dabei wird auch deutlich, weshalb viele Menschen Freundinnen und Freunde des jüdischen Humors zu sein scheinen. In dem Beitrag Humor und jüdische Identität schreibt Ruth Werdigier, der jüdische Humor enthalte große Lebensweisheiten, in Geschichten und Witzen komprimiert (17). Der jüdische Humor, selbst wenn er aggressiv sei, sei immer noch mild und mache sich über sich selbst lustig. Kostprobe: Warum haben die Juden eine so große Nase? Weil Moses sie 40 Jahre in der Wüste an der Nase herumgeführt hat. Zu antisemitisch gefärbten Witzen schreibt Ruth Werdigier: Natürlich steckt hinter dem masochistischen Antisemitismus genau diese Absicht, den Antisemiten diese Bissen aus dem Mund zu nehmen (15)
Das Verhältnis der Juden zu ihrer leidvollen Geschichte kommt in der Auseinandersetzung mit dem Humor immer auch zur Sprache. Volker Kühn schreibt in seinem Aufsatz Lächeln am geöffneten Grab auch von so mancher Gratwanderung, die jüdische Humoristen beispielsweise unter den Nationalsozialisten gehen mussten. Man habe hier und dort erwartet, dass der Nazi-Spuk schnell vorbei sei, schreibt Kühn. Für die Protagonisten habe dies geheißen: erst einmal abwarten (154). Wörtlich: Sie betraten den schmalen Grat zwischen kultureller Selbstbehauptung und Unterwerfung unter das faschistische Reglement (154).
Dass so manche Wegentscheidung nicht richtig getroffen wurde, ist natürlich erst im Laufe der Zeit deutlich geworden. Ein Vorwurf ist natürlich niemandem zu machen. Historische Entwicklungen sind ja nicht unbedingt absehbar. Umso wichtiger erscheinen die Erkenntnisse über den jüdischen Humor im Allgemeinen. Wenn Thomas Soxberger bei der Beantwortung der Frage, ob Juden eigentlich Humor haben, feststellt, dass Erheiterung eine Vorstufe der tieferen Einsicht sein kann, so kommt die Beschäftigung mit dem Humor in die Nähe philosophischer Erkenntnis. Diesen Eindruck gewinnt man auch, wenn er behauptet, die Pointe vieler jiddischer Anekdoten oder Witze sei eine Parodie auf die rabbinische Gelehrsamkeit. Da geht einem während der Lektüre natürlich durch den Kopf, dass Witz und Humor auch immer etwas mit Gelassenheit zu tun haben muss, Gelassenheit gegenüber dem Alltag, Gelassenheit gegenüber dem Leben.
Einen ganz anderen Blick auf das Verhältnis von Judentum und Humor ermöglicht der zeitgenössische Kabarettist Oliver Polak. Er verletzt viele Tabus, wenn er auf der Bühne oder vor der Kamera steht. Im Ausstellungskatalog bringt er seine Sicht der Dinge zum Ausdruck. Ich darf das, ich bin Jude , schreibt Polak immer wieder. Polak bekennt mit dem Blick auf die von ihm dargestellte Comedy: Es geht mir in erster Linie um Comedy, es geht mir nicht darum, das deutsch jüdische oder auch nichtjüdisch-deutsche Verhältnis zusammen zu verbessern und irgendeine Absolution zu erteilen. (185) Wenn es um zugespitzten Humor gehe, meint Polak, hätten die Menschen häufig Angst vor der eigenen Zivilcourage.
Recht könnte Oliver Polak haben. Umso wichtiger erscheint es, die Ausstellung Alle meschugge? Jüdischer Witz und Humor in der Landesvertretung Rheinland Pfalz in Berlin zu besuchen oder den eindrucksvollen und umfassenden Katalog in die Hand zu nehmen. Viele Stunden kann man damit verbringen, unmittelbar oder indirekt sich dem jüdischen Witz und Humor zu nähern. Man gewinnt nochmal einen ganz anderen Blick auf den gelebten jüdischen Glauben in Geschichte und Gegenwart, man hat die Gelegenheit, den Witz und Humor auch nochmals anders zu betrachten. Denn die historischen Erfahrungen jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger stellen den Witz und den Humor nochmals vor ungeahnte Herausforderungen, denen sich der Leser natürlich auch stellen muss. So beschreiben die Autorinnen und Autoren auch die Migrationserfahrung der Juden in Richtung Amerika und in Richtung Israel. Es sind Traditionen, die an den Leser und Zuhörer nochmals besondere Aufgaben stellen.
Die Ausstellung Alle meschugge ? Jüdischer Witz und Humor sowie auch der Ausstellungskatalog sind beeindruckende Erlebnisse für all diejenigen Menschen, die sich mit dem Glauben, dem Humor oder auch dem Brückenschlag zwischen beidem beschäftigen wollen. Ich denke gerne an den Besuch der Ausstellung im Jüdischen Museum Wien zurück und überlege, ob ich die Pforten der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin auch durchschreiten werde. Wollen Sie mitgehen?
Die Ausstellung Alle MESCHUGGE? Jüdischer Witz und Humor wird ab dem 8. November in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz, In den Ministergärten 6, Berlin, bis 31.12.2013 zu sehen sein. Anschließend wird sie noch im Rathaus in Mainz zu sehen sein.
Christoph Müller