Alaaf und Helau
Wolfgang Hippe
Alaaf und Helau Die Geschichte des Karnevals
Klartext-Verlag, Essen 2007
ISBN 978-3-89861-698-0
190 Seiten
Auf dem Buchrücken ist deutlich, was die Leserin oder der Leser in den Händen hält. Dieses Buch ist ein profundes Nachschlagewerk mit zahlreichen Informationen zu Orten und Worten des Karnevals und zugleich voll mit unterhaltsamen Anekdoten rund um die Session und die Alltage dazwischen. Dies hat den Vorteil, dass der Journalist Wolfgang Hippe ein kompaktes Buch vorgelegt hat, in dem man die historischen Hintergründe und alltäglichen Abgründe des Karnevals kennenlernt. Von Nachteil ist es, dass das Buch Alaaf und Helau ein theoriegeladenes Machwerk ist.
Trotzdem macht es Spaß, den Beschreibungen Hippes auf die Schliche zu kommen. Grundsätzliche Äußerungen des Autors zum Karneval bringen das Nachdenken ins Rollen. Der Karneval funktioniere lange über die Session hinaus. Er scheine in Deutschland das kulturelle Muster geworden zu sein, in dem sich gute Laune massenhaft artikulieren könne. Hippe mutmaßt, der andauernde Erfolg des Karnevals könne an der Mischung aus überkommenem Brauchtum, neuen Ideen, Entertainment, Geschäft und Politik liegen. Hippe spitzt zu: Die Geschichte des Karnevals ist ... immer eine Geschichte der Erziehung des Volkes für die zivilisierte oder für zivilisiert gehaltene Gesellschaft und die der Auseinandersetzung um Macht und Reichtum, Oben und Unten.
Kritische Worte findet Hippe auch zum Thema Geschlechtergerechtigkeit im Karneval. Ob sie in dieser Form Unterstützung finden sollten, steht auf einem anderen Blatt. Doch sind seine Worte eine klare Anfrage an die Bestimmung des Karnevals in seiner Zeit: Alles in allem spielen die Frauen im organisierten Karneval die Rolle, die Papst Benedikt XVI. jüngst den Frauen in der Katholischen Kirche zugewiesen hat: Die Kirche ist nicht frauenfeindlich, im Gegenteil achtet sie die Frau. Sie darf sich nützlich machen und ihre Qualifikationen und Qualitäten im Hintergrund einbringen, das belebt das Geschäft. Aber offiziell mitbestimmen und offiziell Verantwortung übernehmen ist ihr aus der Tradition heraus versagt. Während der Papst immerhin glaubt, sich auf Gottes Wort berufen zu können, reichen den Traditionskarnevalisten ihre Satzungen.
Je toller, je lieber lautet ein Motto, das der rheinische Karneval bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt hat. Es sei ein Motto, das gefährlich leicht misszuverstehen war . Wörtlich: Denn der Fastelovend stand traditionell nicht nur für Party ... und je nach Gesinnung und Klassenlage für kultivierte und derbe Scherze, sondern auch für das Überschreiten gesellschaftlicher Standesgrenzen auf Zeit, die Verkehrung von oben und unten ... kurz für den Angriff auf die bestehende Ordnung und ihre Autoritäten. Der unverfrorene närrische Blick gab die Oberen allemal der Lächerlichkeit preis. Das war fast gefährlicher als ein offener Aufstand, weil der entlarvende Witz auch über den Aschermittwoch hinaus wirken und das Ansehen auf Dauer beschädigen konnte.
Vieles erzählt Hippe auf der Matrix des Kölner Karnevals. Doch sind der Düsseldorfer, der Bonner oder der Aachener Karneval genauso in seinem Blick. Hippe macht deutlich, wie schwierig die Bestimmung des Karnevals in der jeweiligen Zeit ist, wenn er an den Karneval im Nationalsozialismus erinnert: Die von Joseph Goebbels, dem Reichsminister für Propaganda, betrieben Mischung von Identifikationsangeboten, Faszination und Zwang entfaltete vor allem in den modernen Massenmedien Rundfunk und Film seine Wirkung, galt aber in gleichem Maße wie für andere kulturelle Felder für die Inszenierung der Rosenmontagszüge. Dabei war es gerade im Sinne der Propaganda, dass dort nicht nur politische Themen gezeigt wurden, sondern die Zahl der Motivwagen mit explizit politischen Aussagen überschaubar blieb und eingebettet war in eine bunte Vielfalt an Bildern und Ideen, die sich gewohnten urkölnischen Brauchtum orientierte.
Kurzum: Ein solides Buch, das viele Themen in den Brennpunkt hebt und tiefere Auseinandersetzung für die Bewältigung der Gegenwart einfordert.
Christoph Müller, Andernach